Eine Reality-TV-Show in Kenia verändert nicht nur die Ernte der teilnehmenden Bauern, sondern auch das Leben der Zuschauer.
(Von Fritz Habekuß, Chamwasis, Kenia)
Man kann Vivian Machanury kaum vorwerfen, dass sie nichts ausprobiert hätte. Bohnen etwa, „aber es regnete zu viel“, sagt sie. Mais, „der wuchs kümmerlich“. Beim Heu holte sie sich Hilfe von Nachbarn, „die sagten, alles sei bestens, dabei war es verschimmelt“. Für Kohl installierte sie eine Anlage zur Tröpfchenbewässerung und stellte einen Arbeiter ein. „Er sagte mir, er habe nichts geerntet. Dann hat er den Kohl auf eigene Rechnung verkauft.“ Als Machanury ihn entließ, zerschnitt er ihr die Bewässerungsschläuche. Jetzt versucht sie es mit Passionsfrüchten, die brächten gutes Geld. Wenn sie denn wachsen. Tun sie aber nicht. Sie sagt: „Ich habe damit angefangen, ohne zu wissen, was ich da mache. Wie immer.“
Das soll sich jetzt ändern, und deswegen rollen an diesem Morgen ein Pick-up und ein Kleinbus auf ihren Hof. Ihre Farm liegt im Westen Kenias, fast genau auf dem Äquator. Von hier aus ist es nicht weit bis nach Uganda. Die Landschaft haben Vulkane geprägt, die Böden sind gut, es regnet viel. Perfekt für Landwirtschaft, eigentlich. „Vivian! Wir sind hier, weil du Hilfe brauchst. Und die wirst du bekommen“, sagt Tonny Njuguna. Njuguna ist Schauspieler und einer der beiden Moderatoren von Shamba Shape Up, einer Reality-TV-Show aus Kenia. „Shamba“ bedeutet Farm in der Landessprache Kisuaheli, „shape up“ ist Englisch und heißt so viel wie aufmotzen oder pimpen. Allein in Kenia schauen Woche für Woche bis zu neun Millionen Menschen zu – und das bei 55 Millionen Einwohnern. Das Format ist so erfolgreich, dass Shamba Shape Up mittlerweile fast in jedem großen kenianischen Fernsehsender Nachahmer hat und das Original in andere ostafrikanische Länder exportiert wird.
Shamba Shape Up gibt es seit 2010, und während das Team die dreizehnte Staffel dreht, läuft im Fernsehen die zwölfte. Die Idee hat Ähnlichkeiten mit MTVs Pimp My Ride, wo der Rapper Xzibit Anfang der 2000er Schrottautos tunen ließ. Bei Shamba Shape Up geht es dagegen um andere Dinge: um das richtige Futter für die Kühe, wie man seine Farm an die Klimakrise anpasst und wann es sinnvoll ist, sich gegen Ernteausfälle zu versichern. Um finanzielle Bildung für Bauern, darum, was es heißt, sich gut zu ernähren, und was man tun kann, wenn der eigene Hof von eingewanderten Pflanzen überwuchert wird. Das Wichtigste dabei ist, dass nicht nur den Bauern geholfen wird, sondern die Zuschauer etwas lernen. Zum Beispiel, wie man Passionsfrüchte richtig pflanzt. So wie Vivien Machanury jedenfalls nicht. Ihre ersten Pflanzen waren zu widerspenstigen Büschen herangewachsen, deren mickrige Früchte sie aus dem Gestrüpp herausschütteln musste. Drei Tage lang wird das Filmteam auf ihrem Hof drehen, am Ende soll sie wissen, was sie besser machen kann: „Ich kenne das aus meinem vorigen Job: sich auf ein Projekt konzentrieren, dann das nächste angehen.“
Vivian Machanury ist 50 Jahre alt. Vor drei Jahren hat sie ihren Beruf bei einem Telefonnetz-Betreiber aufgegeben. An der Wand ihres Hauses hängen noch Auszeichnungen als Mitarbeiterin des Monats und Zertifikate von Weiterbildungen. In ihrem Job hatte sie zuletzt ein Team von 50 Mitarbeitenden unter sich. Dann wurde sie Bäuerin. „Weißt du“, sagt sie zu Tonny Njuguna, „ich habe mir das nur zugetraut, weil ich immer eure Sendung geguckt habe.“ Der ist sichtlich gerührt. „Das müssen wir gleich noch mal vor der Kamera machen“, sagt er.
Vor drei Jahren zog sie nach Chamwasis, einem Dörfchen in Bungoma County im Westen Kenias. Sie hat in der Millionenmetropole Nairobi studiert, gelebt, gearbeitet. Jetzt wohnt sie in einem Haus mit Blechdach auf ihrem eigenen Grundstück, wo das nächste Nachbarhaus hinter den Bananenstauden nur zu erahnen ist.
Dann kommt die Regisseurin Heidi Perry, eine Britin, die jahrelang Filme für die BBC gedreht hat, und lässt sich von Machanury ihre Farm zeigen.
„Führst du eigentlich auch Buch über das, was du hier machst?“, fragt Perry.
„Ja, aber ohne System. Ich schreibe, wenn ich frustriert bin.“
„Gut. Das wollen wir filmen. Was ist das dahinten?“
„Mango. Und daneben Maniok.“
„Und das sind deine Passionsfrüchte?“, fragt Perry und zeigt auf niedrige Pflänzchen, die in einer Reihe auf dem Acker wachsen.
„Ja. Keine Ahnung, was da falsch läuft. Das müsst ihr mir sagen.“
Perry nickt, ist aber nicht ganz zufrieden: Die Farm ist klein, außer ein paar Hühnern, die das Eierlegen verweigern, hält Machanury keine Tiere. Für die Sendung wäre es besser, wenn die Probleme größer wären, wenn es mehr zu tun gäbe. „In der Folge werden wir zeigen, wie mühsam es als Kleinbauer ist, seine Produkte selbst zu vermarkten. Und dass es sich lohnen kann, Partnerschaften einzugehen, die eine Abnahme garantieren“, sagt Perry. Sie muss jetzt improvisieren. „Wir drehen erst mal im Hühnerstall“, ruft sie ihrem Team zu.
Während weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebt, wohnen in Kenia noch immer über 70 Prozent der Menschen auf dem Land. Obwohl die Geburtenrate sinkt, verdoppelt sich die Einwohnerzahl alle 21 Jahre. Der größte Teil dieses Wachstums findet auf dem Land statt. Von dort kommt auch die Nahrung, die Ostafrika ernährt – von Kleinbäuerinnen wie Machanury.
Doch nur wenige junge Menschen wollen Landwirtschaft betreiben. Kenias Kleinbauern seien alt und täten sich schwer mit Innovationen. So hatte es ein paar Tage vor dem Dreh David Campbell erzählt. Er ist Brite und lebt seit mehr als 40 Jahren in Kenia. Früher arbeitete er für die britische Regierung, dann gründete er die Produktionsfirma Mediae. Mit ihr hat Campbell zuerst eine Radioshow produziert. Fernsehen galt als zu aufwendig und zu teuer – doch Anfang der 2000er-Jahre kamen auch im ländlichen Ostafrika Fernsehgeräte auf den Markt. „Damals waren Reality-TV-Shows populär“, erzählt Campbell. „Unser Modell war: das Bedürfnis der Menschen nach Information zu befriedigen und sie zu unterhalten.“ Das hat geklappt.
Seit 13 Jahren läuft Shamba Shape Up nun schon. Campbells Team hat die Farmen Hunderter Kleinbauern im Land aufgemotzt. Das Programm läuft im wichtigsten Fernsehsender des Landes, es gelingt ihm, wissenschaftlich fundierte Informationen dorthin zu bringen, wo andere Wissensvermittlung es schwer hat – und unterhält dabei. Auf dem Hof von Vivian Machanury erzählt Tonny Njuguna, wie er seine Aufgabe sieht: „Wir gehen nicht zu einem Bauern und sagen ihm, was er alles falsch macht. Wir kommen und sagen, wie großartig es ist, was er leistet. Und dass es noch ein bisschen besser geht, wenn er dies macht und jenes versucht.“
Dann wird er unterbrochen von der Regisseurin Perry, die ruft: „Ich hab ’ne blöde Idee, komm doch mal kurz.“ – „Sofort“, antwortet Njuguna und sagt: „Auch wenn wir auf einen Hof kommen und die Hühner erbärmlich aussehen und keine Federn haben, dann sagen wir erst mal: ›Aaah, was sind das für schöne Hühner!‹ Niemals von oben herunterschauen.“ Dann geht er zu Perry. „Vivian hat mir erzählt, dass sie jeden Morgen eine Runde dreht und dabei mit ihren Pflanzen spricht. Vielleicht können wir das nachstellen, ihr versteckt euch im Gebüsch und antwortet ihr?“ – „Versuchen wir es mal“, sagt Njuguna. Perry wirkt nicht ganz überzeugt. „Manchmal gilt: je verrückter, desto besser“, sagt sie entschuldigend. Dann zu Njuguna und seiner Co-Moderatorin: „Geht ihr bitte hinter den Busch?“
Eine halbe Stunde dauert die Szene, Machanury schreitet die Reihen der Passionsfrüchte ab und fragt: „Wie geht es euch denn?“ Hinter dem Busch gibt Njuguna jetzt alles: „Uns geht’s schlecht, mach eine Bodenprobe!“
„Wenn ich nur wüsste, was euch fehlt!“
„Hol dir Rat von Experten!“, rufen sie so laut, dass es über den ganzen Acker schallt: „DÜNGER !!!“
Inzwischen gibt es personalisierte Beratung
Die Szene ist albern – aber sie funktioniert, weil das Moderatorenduo aus der Idee eine Comedyszene macht. Am Ende müssen alle lachen, Machanury, Njuguna, Perry, der Kameramann und der Tontechniker. Am nächsten Tag kommt tatsächlich Rat: ein Agrarwissenschaftler, geschickt von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Sie ist einer von einem Dutzend Partnern, die die Staffel von Shamba Shape Up mitfinanzieren. Das Ziel: junge Menschen zu motivieren, Jobs in der Landwirtschaft anzunehmen.
Machanury hat sich Notizen gemacht: „Er hat gesagt, ich hätte die Pflanzen zu dicht gepflanzt und die Kletterhilfe zu nah gesetzt.“ Dann lässt sie das Buch sinken und sagt: „Daran habe ich nicht gedacht.“ Trotzdem ist sie zufrieden, weil sie jetzt weiß, was zu tun ist. Während sie erzählt, schiebt sich ein Laster rückwärts auf den Hof. Er ist mit Balken beladen, aus denen ein Gerüst für die Passionsfrüchte entstehen soll. Heidi Perry will derweil noch im Haus drehen, eine Szene, in der Vivian Machanury Honig am Telefon verkauft. Der steht in einem großen Plastikeimer neben der Couch. „Schuhe anbehalten, das ist ein Bauernhaus“, ruft sie zum Kamerateam. Sie wählt eine Nummer und muss dem Kunden jetzt erst einmal erklären, dass ihr Gespräch gefilmt wird. Während die Kamera läuft, miaut eine Katze in der Küche ununterbrochen. Perry schaut fragend zum Tonmann. Der guckt zurück und winkt ab. Weitermachen. Ist ja kein Hollywood hier.
Dennoch sehen Millionen Menschen Shamba Shape Up. Jede Woche. Die Sendung selbst ist dabei nur ein Weg, wie Information über Landwirtschaft zu den Farmern kommt. „Früher sind die Zuschauer nach einer Sendung auf die Website gegangen, weil sie eine Frage hatten. Da stand aber nur eine Handynummer“, erzählt Campbell, „meine.“ Also bekam er Anrufe. „Sonntagmorgens um sieben: ›Meine Kuh ist krank, was soll ich machen?‹ – solche Sachen“, sagt er. „Da habe ich verstanden, dass wir den Leuten mehr Informationen geben müssen.“
Heute gibt es iShamba. Das Programm ist eine Art personalisierte Beratung für Farmer, organisiert über WhatsApp-Gruppen. Mehr als 500.000 Bäuerinnen und Bauern sind Teil des Netzwerks, die Informationen bekommen sie direkt aufs Telefon. Im Büro von Campbells Produktionsfirma Mediae in Nairobi sitzen ausgebildete Agrarwissenschaftler und beantworten Fragen: „Was ist die beste Mais-Sorte für den Anbau an der Küste?“, „Welcher Zuchtfisch wächst schnell, und wo kriege ich ihn her?“ oder „Was kann ich gegen die vielen Fliegen in meinem Schweinestall tun?“. Es dauert höchstens zwei Tage, dann bekommen die Fragesteller eine Antwort. Außerdem Tipps und Hinweise, ob es bald regnet oder wann Heu eingebracht werden muss.
Eine Studie hat ergeben, dass Bauern umgerechnet 55 bis 75 Dollar pro Saison mehr verdienen, wenn sie die Ratschläge von Shamba Shape Up umsetzen – in Kenia viel Geld. Für Milchbauern sind die Zahlen laut einer Untersuchung der University of Reading sogar deutlich höher. Wenn sie Tipps aus der Sendung befolgen, geben Kühe 1,5 Liter mehr Milch pro Tag. Das bedeutet jährlich zusätzliche Einnahmen von über 800 Euro. Eine andere Studie hat gezeigt, dass jeder zweite Zuschauer etwas auf seinem Hof verändert, nachdem er Shamba Shape Up gesehen hat. Zusammengenommen bedeutet das Hunderte Millionen Euro mehr für die kenianische Bevölkerung, es bedeutet weniger Hunger, weniger Mangelernährung, mehr Geld für Bildung, Medizin. Geld, um Träume in Wirklichkeit umzusetzen und für die Chance, ein Leben zu führen, das man nach den eigenen Vorstellungen gestalten kann. Am Ende geht es genau darum: dass es sich lohnen kann, auf dem Land zu bleiben, dass ein Kleinbauer nicht arm sein muss – auch in Kenia nicht.
Bei Vivian Machanury wird am dritten Tag noch einmal gedreht, es wird hektisch. Der Bodenexperte erklärt ihr die Ergebnisse: zu wenig Phosphor im Boden, schlecht für Passionsfrüchte. Auch die Vertreter einer Hühnerfarm sind gekommen. „Die Hühnerleute haben 50 Küken mitgebracht. Sie wollen eine Brutmaschine installieren, dann kann ich die Küken großziehen und verkaufen!“ Machanury ist aufgeregt, alleine hätte sie sich das nicht leisten können. Wenn nur die Hälfte der vorgeschlagenen Verbesserungen funktioniert, wird sich ihr Leben verändern. Dann wird sie keine strauchelnde Bäuerin mehr sein, sondern Managerin ihres eigenen landwirtschaftlichen Betriebs.
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