Rumänien wird zum wichtigen Pfeiler der Nato-Strategie

(von Richard Kallok)

In dem von sozialer Erosion geplagten Land wollen die Nato und der Rüstungskonzern Rheinmetall in großem Umfang investieren.

In der Nähe der Schwarzmeerstadt Konstanza hat in der letzten Woche der Bau der größten Nato-Militärbasis in Europa begonnen. Auf einem 3000-Hektar-Gelände werden 2,7 Mrd. Dollar in einen modernen Militärflughafen incl. Wartungs- und Ausbildungseinrichtungen, ein großes Waffen- und Munitionslager sowie Unterkünfte für 10.000 Soldaten investiert.

Der in Düsseldorf beheimatete Rüstungskonzern Rheinmetall, dessen wichtigste Anteilseigner allerdings US-Finanzinvestoren sind, kündigte gleichfalls letzte Woche den Bau einer Fabrik für militärischen Sprengstoff in Rumänien an. Rheinmetall und sein rumänischer Partner, Rumarm, bekommen dafür 47 Mio. Euro aus dem EU-Sonderfonds für Munitions-Beschaffung ASAP. Bereits im April 2023 – Kanzler Scholz war zufällig in Bukarest – kündigte Rheinmetall den Bau eines großen Wartungs- und Logistikzentrums für gepanzerte Fahrzeuge in Rumänien an. Im Dezember erhielt das Unternehmen den Auftrag für die Modernisierung der rumänischen Raketen-Abwehr. Und Anfang Februar 24 wurde bekannt, dass Rheinmetall eine 72prozentige Beteiligung am rumänischen Militärfahrzeug-Hersteller Automecanica Medias erworben hat..

Das Bukarester Parlament hat im letzten Jahr eine Erhöhung der Rüstungsausgaben auf 2,5 % des Bruttoinlandsprodukts beschlossen. Das Verteidigungsministerium hatte schon zuvor eine lange Bestellliste für diverse Waffensysteme erstellt. Dazu gehören türkische Bayraktar-Kampfdrohnen und Navy Strike Missiles des US-Konzern Raytheon. In Frankreich wurden zwei gebrauchte U-Boote gekauft und in Großbritannien Minenräumer. Höhepunkt der rumänischen Shopping-Tour war im August die Bestellung von 32 Kampfjets des Typs F-35 Lightning 2 bei Lockheed Martin zum Preis von 5,9 Mrd. Dollar. Um die unerschütterliche Bündnistreue seines Landes zu beweisen, kündigte Präsident Klaus Iohannis dann an, nach Ablauf seiner Amtszeit 2025 als Nato-Generalsekretär kandidieren zu wollen.

Die besondere Rolle Rumäniens in den Nato-Konzeptionen erklärt sich vor allem aus seiner geografischen Lage. Rumänien hat zwar keine gemeinsame Landgrenze mit Russland, aber eine rund 600 km lange Grenze mit der Ukraine. Und die Krim ist nur knapp 300 Kilometer von der rumänischen Küste entfernt. Die russische Südwest-Flanke gilt unter Militärstrategen zudem seit dem Krimkrieg 1853-56, als britische und französische Militär-Einheiten auf der Krim landeten, als eher „verwundbar“ wie die Mitte oder der Norden Russlands, wo „strategische Tiefe“ ein wichtiger Faktor ist.

Verhältnis zu Russland

Rumänien wird  in der Nato und der EU aber auch als politisch zuverlässiges Land eingestuft. Das Verhältnis Rumäniens zu Russland ist zwar nicht in gleicher Weise historisch belastet wie im Falle Polens oder der baltischen Länder. Im Gegenteil: Als das geteilte Polen im 19. Jahrhundert russische Unterdrückung durchlebte, gelang den Donau-Fürstentümern, aus denen später der rumänische Staat entstand, nur mit russischer Hilfe die Befreiung aus osmanischer Oberherrschaft. Rumänisch-russischer Zwist ergab sich erst nach Zerfall des Habsburger Reichs in der Frage der territorialen Zugehörigkeit der von einer ostslawisch-rumänischen Mischbevölkerung bewohnten Gebiete Bessarabiens und der Bukowina. In der mehrheitlich rumänisch-sprachigen Republik Moldau und ihrer russisch-sprachigen Abspaltung Transnistrien dauert dieser Konflikt bis heute an.

Nennenswerte russophile Strömungen gibt es folglich, ganz im Unterschied zum südlichen Nachbarn Bulgarien, weder in der rumänischen Gesellschaft noch in der rumänischen Politik. Aber Rumänien gehört auch nicht zu den unbedingten Scharfmachern. An der in der EU eingeübten rituellen Ausweisung von russischen Diplomaten hat sich Rumänien zwar artig beteiligt, doch aggressive Rhetorik gegenüber Russland, die sich vor allem baltische und polnische Politiker antrainiert haben, hört man in Rumänien seltener.

Nachdem um die Jahreswende 23/24 in der an die Ukraine grenzenden Stadt Tulcea wegen „russischen Flugobjekten“ Ro-Alert-Alarm gegeben wurde, beschwichtigte Ministerpräsident Ciolacu: „Die Russische Föderation hat keine absichtliche Aggression gegen Rumänien unternommen und ich bin zuversichtlich, dass sie das auch nicht tun wird.“ Doch Widerständigkeit in EU- und Nato-Gremien gegen den strikten Konfrontationskurs gegenüber Russland ist von Rumänien nicht zu erwarten.

Korruption

Denn Rumänien hat eine schwache Position. Rumäniens wichtigste Partei, die sozialdemokratische PSD, die mit der liberalen PNL aktuell auch die Regierung stellt, wird im Westen immer noch gern als „postkommunistisch“ tituliert, was – nicht unberechtigt – auf eine besondere Anpassungsbereitschaft zielt. Zudem schwebt über großen Teilen der politischen Klasse Rumäniens der latente EU-Vorwurf, der Korruption im Land nicht „rechtsstaatlich“ entgegenzutreten oder gar selbst korrupt zu sein. Und dem Vorwurf folgt oft die Androhung von Vertragsverletzungsverfahren incl. der Kürzung von Fördermitteln, so wie man es von Polen und Ungarn kennt.

Tatsächlich wird wohl kaum ein Rumäne behaupten, dass Korruption in Rumänien kein Problem sei. Ob sie allerdings ein größeres Problem ist als in der EU selbst, erscheint nicht sicher. Immerhin erlaubte sich Rumänien im letzten Jahr Strafermittlungen in einem auch für die EU äußerst heiklen Bereich: Gegen Ex-Premier Citu und Ex-Gesundheitsminister Voiculescu ist die Staatsanwaltschaft wegen „Amtsmissbrauchs“ aktiv geworden, weil sie mehr als notwendig Corona-Impfdosen bestellt hatten.

Das größte Handelsdefizit der EU-Ostländer

Auch ökonomisch steht Rumänien auf schwachen Füßen und hat innerhalb der EU einen semi-kolonialen Status. Weit weniger als z. B. Ungarn und Polen konnte Rumänien als Gegenleistung für seine Marktöffnung von industriellen Neu-Investitionen westlicher Konzerne profitieren. Obwohl der Industrieanteil mit 27% des BIP und 32% der Beschäftigten relativ hoch ist, verzeichnete Rumänien 2022 mit 35,8 Mrd. Euro das größte Handelsdefizit der EU-Ostländer.

Das als Joint-Venture entstandene industrielle Aushängeschild „Dacia“ gehört heute zu 100 Prozent Renault. Die bedeutendste rumänische Bank, BCR, gehört zur österreichischen „Erste Group Bank AG“. Im Energiesektor, den man in Polen z. B. mit Bedacht unter nationaler Kontrolle hielt, haben beim größten Unternehmen, OMV Petrom österreichische und arabische Eigner eine Anteilsmehrheit. Ein gewichtiger Teil des rumänischen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre floss daher in Form von Gewinnen ins Ausland ab. Was in Rumänien blieb, landete zumeist in den Taschen der Oberschicht und der oberen Mittelschicht. Denn die rumänische Gesellschaft ist stark fragmentiert. Beim Gini-Index zu sozialer Ungleichheit steht Rumänien deutlich schlechter da als Polen oder Ungarn. Für viele bleibt ein Auslandsjob die einzige Option für ein Leben in bescheidenem Wohlstand.

Arbeitsmigration und Auswanderung

Ca. 6 Mio. Rumänen leben bereits im Ausland, nur eine Minderheit davon sind die in Deutschland ins Auge fallenden Roma, die in Rumänien traditionell in besonderem Maße diskriminiert werden. Während sich das Gesundheitssystem vielfach in einem desolaten Zustand befindet und durch kleinere und größere Streikaktionen des völlig unterbezahlten Personals zusätzlich belastet wird, stellen die 4200 Rumänen unter den ausländischen Ärzten in Deutschland nach den Syrern die zweitgrößte Gruppe. Im Juni 2021 – aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar – arbeiteten 447.000 Rumänen sozialversicherungspflichtig in Deutschland. Zehntausende arbeiten ohne deutsche Sozialversicherung und ohne deutschen Arbeitsvertrag als formelle Arbeitnehmer rumänischer Firmen bzw. rumänischer Niederlassungen deutscher Firmen im Rahmen der EU-Entsenderichtlinie und des deutschen Entsendegesetzes –  auf dem Bau, in der Industrie, im Gastgewerbe oder als Berufskraftfahrer.

Auch in den Niederlanden, Frankreich, Italien und Spanien sind hunderttausende Rumänen erwerbstätig. Gerade die Beschäftigung temporärer Arbeitsmigranten, deren nicht-erwerbstätige Familienangehörige im Heimatland verbleiben, ist für die reicheren EU-Länder eine sehr nützliche Konstruktion, zumal sie auch für die Erziehung und Ausbildung dieser Migranten, sieht man von einem evtl. Sprachunterricht ab, keinen Beitrag leisten.

Bestehende Familien werden auseinandergerissen und viele junge Rumänen reagieren auf die grenzüberschreitenden Mobilitätsanforderungen mit einem Verzicht auf Familiengründung und Kinder. Die demografischen Prognosen für Rumänien sind desaströs. Die wenigen Jobs, die die Rüstungsindustrie und die Marketenderei für in Rumänien stationierte Nato-Soldaten hergeben, werden daran nichts ändern. In deutschen Medien war letztens viel über Rumänien als „Schlüsselstaat an der Nato-Südostflanke“ (Welt) und „Partner von strategischer Bedeutung“ (Spiegel) zu lesen. Für die Menschen in Rumänien hat man sich nie besonders interessiert.