Deutschland: Abschiebe-Bilanz der Ampel ist verheerend

Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel in Berlin kündigt die Ampel einen härteren Kurs gegenüber ausreisepflichtigen Migranten an. Doch folgen den Worten Taten? Schon einmal versprach die Regierung eine „Rückführungsoffensive“. Die Abschiebe-Bilanz ist erschreckend.

Alles war penibel vorbereitet. Am 5. Oktober 2022, Punkt 14.00 Uhr, sollte ein Flugzeug von Frankfurt am Main nach Teheran starten. Laut behördlicher Planung mit an Bord: Der 41-jährige Iraner Reza R.

Der Mann war 2018 aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet, hatte aber kein Asyl erhalten. Vier Jahre lang lebte er als „Geduldeter“ in Bayern. Dann sollte er das Land verlassen.

Um sicher zu gehen, dass die Abschiebung des Iraners in seine Heimat klappt, passten ihn zwei Polizisten bereits einige Tage zuvor in Passau ab. Die Beamten brachten ihn auf die Wache, dann ins Gericht und schließlich ins Gefängnis, wo er bis zu seiner Überstellung ins Flugzeug bleiben sollte, in einer Einzelzelle.

Praktisch in letzter Minute brachen die Behörden die Abschiebe-Aktion ab. Grund: Die Rechtsanwältin des Mannes hatte interveniert und Verfahrensfehler beklagt. Gemeinsam mit Flüchtlingsinitiativen gelang es der Juristin, dass Reza R. in Deutschland bleiben konnte. Vorerst.

Das Schicksal des Iraners ist kein Einzelfall.

23.400 gescheiterte Abschiebungen – Armutszeugnis für Politik

Allein im Jahr 2022 sind nach Angaben der Bundesregierung rund 23.400 Abschiebungen vor oder nach Übergabe des ausreisepflichtigen Ausländers an die Bundespolizei „nicht vollzogen worden“. Zuständig für Abschiebungen sind formal die Länder. Aber der Bund unterstützt sie in vielen Punkten und schafft insbesondere die rechtlichen Voraussetzungen.

23.400 gescheiterte Abschiebungen in nur einem Jahr – ein Armutszeugnis für die deutsche Flüchtlings- und Migrationspolitik!

Dabei hatte die Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) in ihrem Koalitionsvertrag Ende 2021 großspurig eine „Rückführungsoffensive“ für ausreisepflichtige Ausländer angekündigt. Konsequenter handeln wollte man insbesondere bei der „Abschiebung von Straftätern und Gefährdern“.

Mehr als 15 Monate sind seitdem vergangen – doch getan hat sich seither so gut wie nichts.

Erst jetzt kommen Verantwortliche langsam in die Gänge

Erst jetzt kommen die Verantwortlichen langsam in die Gänge. Kurz vor dem Flüchtlingsgipfel von Scholz mit den Ministerpräsidenten an diesem Mittwoch in Berlin sickerten neue Abschiebe-Pläne durch. Demnach wollen Bund und Länder „die Zahl der Rückführungen ausreisepflichtiger Personen steigern“.

Konkret soll dieZusammenarbeit zwischen Ausländerbehörden und Polizeidienststellen verbessert und die Regeln der Abschiebehaft verschärft werden. Außerdem sollen Behördenmitarbeiter künftig leichter Gemeinschaftsunterkünfte betreten dürfen, um Abschiebungen durchzusetzen. Zudem sollen solche Aktionen nicht wegen laufender Ermittlungsverfahren oder Klagen scheitern.

Von angekündigter „Rückführungsoffensive“ nichts zu spüren

Die angekündigten Maßnahmen, sollten sie denn wirklich umgesetzt werden, wären längst überfällig. Denn für die Akzeptanz des Asylsystems ist „die Abschiebung von Ausreisepflichtigen unerlässlich“, warnt Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU). Deutschland brauche nicht nur eine Willkommens-, „sondern auch eine Abschiedskultur“.

Das sieht auch die große Mehrheit der Bundesbürger so. Bei einer repräsentativen Civey-Umfrage für FOCUS online sprachen sich 89 Prozent der Deutschen dafür aus, Zuwanderer ohne Bleiberecht schneller auszuweisen. Ein klares Votum. Und eine klare Erwartungshaltung an die Regierenden.

war haben SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag Handlungsbedarf eingeräumt („Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben“), doch die Bilanz des ersten Regierungsjahrs fällt ernüchternd aus. FOCUS online nennt überraschende Fakten und Zahlen zum Thema Abschiebungen:

56.000 Ausländer müssten Deutschland sofort verlassen

Die Zahl der Ausländer, die Deutschland eigentlich verlassen müssten, steigt immer weiter: Ende 2022 hielten sich in der Bundesrepublik 304.308 vollziehbar ausreisepflichtige Männer, Frauen und Kinder auf. Das sind rund 11.650 mehr als Ende 2021 und sogar 100.000 mehr als Ende 2015.

Die meisten Betroffenen (81,5 Prozent) haben eine „Duldung“. Das bedeutet, dass die Ausreisepflicht weiter besteht, die Abschiebung jedoch vorübergehend ausgesetzt wird. Mögliche Gründe: Der Betroffene ist krank, im Zielstaat droht ihm Lebensgefahr oder das Herkunftsland verweigert die Aufnahme.

Das heißt zugleich, dass aktuell mehr als 56.000 Ausländer die Bundesrepublik verlassen müssten – und zwar sofort. Ende 2021 waren es noch rund 50.650.

Die meisten der vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kommen laut Bundesregierung aus dem Irak (35.200), Afghanistan (24.000) und Nigeria (17.200). In der Spitzengruppe auch: Iran, die Türkei, Serbien, Syrien und Pakistan.

2022 wurden gerade einmal 13.000 Ausländer abgeschoben

Gemessen an den mehr als 300.000 „vollziehbar ausreisepflichtigen“ Personen fällt die Zahl der tatsächlichen Abschiebungen bescheiden aus. 2022 wurden gerade mal knapp 13.000 Ausländer in ihre Heimat zurückgebracht oder in den europäischen Staat, der für die Asyl-Prüfung zuständig ist (Dublin-Verfahren). Die meisten der Abgeschobenen kommen aus Georgien, Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Afghanistan und Syrien.

Zum Vergleich: In den Jahren 2015 bis 2019 lag die bundesweite Zahl der jährlichen Abschiebungen bei jeweils über 20.000, im Jahr 2016 sogar bei über 25.000.

Ebenfalls nur schwer zu begreifen: Beinahe zwei Drittel (64,4 Prozent) aller Versuche der Behörden, illegal nach Deutschland gekommene Migranten wieder außer Landes zu bringen, bleiben erfolglos.

So scheiterten im vergangenen Jahr von den bundesweit rund 36.300 geplanten Abschiebungen 23.377. Negativ-Spitzenreiter mit rund 7100 Fällen ist Berlin. Es folgen Nordrhein-Westfalen mit rund 3350 und Bayern mit 3160.

Krank, untergetaucht: Daran scheitern Ausweisungen

Gründe für gescheiterte Abschiebungen waren unter anderem aktiver Widerstand des Betroffenen (32 Fälle), medizinische Bescheinigungen (90), erfolgreich eingelegte Rechtsmittel (43), Beförderungsverweigerung durch Piloten oder Kapitäne (206) oder fehlendes Begleitpersonal (18).

In 15.075 Fällen – also beim Großteil aller gescheiterter Abschiebungen – haben die Behörden ihr ursprüngliches Ersuchen „storniert“. Mögliche Gründe: Die Ausländer waren nicht reisefähig oder untergetaucht. Auch technische oder organisatorische Probleme können zu einer Stornierung führen.

Eines der größten Abschiebehindernisse seit Jahren: die ungeklärte Identität von Migranten. Aus unterschiedlichsten Gründen legen sie den Behörden keine gültigen Personendokumente vor oder weigern sich, an der Feststellung ihrer Herkunft mitzuwirken. Doch wenn nicht feststeht, woher der Ausländer kommt, weiß man auch nicht, wohin man hin zurückbringen soll.

Abschiebungen sind für die staatlichen Stellen nicht nur juristisch und logistisch eine Herausforderung, sie sind auch sehr teuer.

Der Bundesregierung zufolge wurden im Jahr 2022 mehr als 5000 ausländische Staatsangehörige mit eigens gemieteten Flugzeugen abgeschoben. Die Rede ist von insgesamt 158 Charterflügen in 29 Länder, darunter Ägypten, Kenia, Libanon, Nigeria und Bangladesch. Immer dabei: mehrere Polizisten. Manche Rückführungen kosten mehr als 100.000 Euro.

Viele Ausreisepflichtige leben schon mehrere Jahre hier

Günstiger kommen den deutschen Steuerzahlern die Bemühungen der Behörden, Ausländer zur freiwilligen Rückkehr in die Heimat zu bewegen. Spezielle Hilfsprogramme und finanzielle Anreize sollen ihnen den Abschied erleichtern. Deutschland zahlt Flug- oder Bahnticket, 200 Euro Reisekosten, bis zu 2000 Euro für medizinische Behandlungen sowie 1000 Euro Starthilfe pro Person, maximal 3500 Euro pro Familie.

Das Angebot scheint viele Ausländer zu überzeugen. Im Jahr 2022 haben laut vorläufigen Zahlen der Bundespolizei 26.545 ausreisepflichtige Personen freiwillig ihre Koffer gepackt – mehr als doppelt so viele, wie durch Abschiebungen außer Landes gebracht werden konnten.

Die meisten der 304.308 vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer haben in Deutschland – wie von ihnen beabsichtigt – eine zweite Heimat gefunden: Mehr als 130.000 leben schon seit mindestens sechs Jahren in der Bundesrepublik, mehr als 51.000 seit mindestens vier Jahren.

Einer der Gründe für die langen Aufenthalte: Gerichtsverfahren wegen abgelehnter Asylanträge dauern sehr lange. 2022 betrug die durchschnittliche Dauer eines Gerichtsverfahrens gegen eine ablehnende Asyl-Entscheidung 27,3 Monate, also weit mehr als zwei Jahre. Vor einer endgültigen juristischen Klärung ihres Falls können Betroffene nicht abgeschoben werden.

Eine weitere Zahl bestätigt diese Entwicklung: Ausländer, die im Jahr 2022 abgeschoben wurden, haben sich durchschnittlich rund 33 Monate in Deutschland aufgehalten, also fast drei Jahre. Und das, obwohl bei vielen schon vom ersten Tag feststand, dass sie kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben.

Ampel reagiert mit Milde und Entgegenkommen

Die Ampel-Regierung im Bund hat auf die Missstände reagiert. Allerdings nicht mit Härte, sondern mit Milde und Entgegenkommen.

Ende 2022 hat sie das Gesetz zur Einführung eines Chancen-Aufenthaltsrechts eingeführt. Damit will sie dem Großteil der eigentlichen ausreisepflichtigen Ausländer – gemeint sind die aktuell 248.000 Geduldeten – eine „aufenthaltsrechtliche Perspektive“ eröffnen.

Das Gesetz soll jenen Menschen eine Chance bieten, die zwar ausreisepflichtig sind, „sich aber erfolgreich in unsere Gesellschaft integrieren und sich rechtstreu verhalten“. Zugleich erleichtere das Gesetz die „zügige Aufenthaltsbeendigung derjenigen, die dies nicht tun“, so die Regierung.

Ob es wirklich gelingt, insbesondere Straftäter und Gefährder konsequenter abzuschieben als bisher, bleibt abzuwarten. Experten wie Klaus Ritgen vom  Deutschen Landkreistag, dem kommunalen Spitzenverband der 294 Landkreise, bezweifeln das. Vielmehr würden durch das neue Gesetz Ausländer ermutigt, illegal und ohne Aussicht auf ein Aufenthaltsrecht nach Deutschland einzureisen oder ihrer Ausreisepflicht nicht nachzukommen, warnt er.

Unionspolitiker schlagen Alarm: Regierung muss handeln

Auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sieht in den Neuerungen keinen Durchbruch. „Wir brauchen eine echte Rückführungsoffensive, wie sie die Ampel selbst in ihrem Koalitionsvertrag ankündigt“, mahnte Rhein unlängst.

Rhein verwies darauf, „dass von 17.800 Ausreisepflichtigen bei uns im vergangenen Jahr nur rund 1000 tatsächlich Hessen verlassen haben“. Menschen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland hätten, müssten jedoch zurück in ihre Heimat. „Das betrifft mehr als 304.000 Personen.“

Der innenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Alexander Throm (CDU), ist mit dem aktuellen Kurs ebenfalls nicht einverstanden: „Deutschland befindet sich in der schwersten Migrationskrise seit 2016. Da muss eine erfolgreiche Rückführungspolitik Priorität in Bund und Ländern sein.“

Ob die Bundesregierung das genauso sieht, darf bezweifelt werden. Trotz eindringlicher Appelle und unüberhörbarer Hilferufe aus Kommunen und Ländern hat die Ampel das Thema Migration lange vernachlässigt. Die Verantwortlichen haben die Brisanz nicht erkannt. Oder erkennen wollen.

Migrationsbeauftragter: Thema vielleicht „unterschätzt“

Erst am 1. Februar 2023, also mehr als ein Jahr nach dem Start der Ampel, wurde ein Migrationsbeauftragter ernannt. Sein vollständiger Titel lautet „Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen“.

Übertragen hat man das Amt dem FDP-Politiker Joachim Stamp aus Nordrhein-Westfalen. Er soll unter anderem dafür sorgen, dass die Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber besser funktionieren. Konkret soll er Migrationsabkommen mit Ländern aushandeln, die sich bislang weigern, abgelehnte Asylbewerber wieder bei sich aufzunehmen.

Eine schwierige, aber enorm wichtige Aufgabe, die schon längst hätte angegangen werden müssen.

Vor diesem Hintergrund scheint es unverantwortlich, dass die rot-grün-gelbe Koalition mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sich für die Besetzung des Postens mehr als 13 Monate Zeit ließ.

Das sieht der neue Amtsinhaber Joachim Stamp ähnlich. In der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ sagte er vor kurzem, die Regierung habe das Thema vielleicht „unterschätzt“.

Der CDU-Experte für innere Sicherheit, Christoph de Vries, äußert einen ganz anderen Verdacht. Er glaubt, es fehle am „politischen Willen“. Allen voran bei den Grünen, „die in Wahrheit nicht abschieben wollen“. Das gleiche gelte für „Teile der SPD“.