Lachen die Franzosen uns gerade heimlich aus ?
Während Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, baut Frankreich sie aus. Was unsere Nachbarn in der Atomindustrie zum deutschen Weg sagen.
(Chiara Maria Leister)
Geht Deutschland mit dem Atomausstieg einen Sonderweg ein? Immerhin nutzen Weltmächte wie die USA, China, Japan, Großbritannien, Frankreich oder Südkorea weiterhin die Atomkraft. Unser Nachbarland Frankreich will sogar bis zum Jahr 2050 mehr als 14 neue Atomkraftwerke (AKWs) bauen. Auch Polen steigt in die Atomkraft erst jetzt richtig ein.
Laut einer aktuellen Umfrage des Forschungsinstituts Infratest dimap im Auftrag von ARD-Deutschlandtrend sind 59 Prozent der Menschen hierzulande gegen die AKW-Abschaltung. Macht Deutschland also einen Fehler? Für den Atomkraft-Experten Christoph Neugnot aus dem französischen Chatillon ist es kein Wunder, dass die deutsche Öffentlichkeit die Entscheidung des Atomausstiegs anzweifelt und sich fragt, ob es die richtige Wahl war. „Es ist nun mal nicht die Mehrheitswahl der großen Industrieländer, sondern eine Wahl der Neugewichtung“, sagt der Kommunikationsdirektor der staatlichen Orano-Gruppe in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung.
Europäische Stromerzeugung: Ein Ziel, zwei Wege?
Zum deutschen Sonderweg äußert sich Neugnot allerdings diplomatisch. „Deutschland und Frankreich verfolgen in der Stromerzeugung dasselbe Ziel“, sagt er. Die Dekarbonisierung der Energieversorgung sei bei beiden Ländern verankert, nur würden sie nicht die gleiche Art und Weise teilen, um dieses Ziel zu erreichen. „Frankreich hat sich dafür entschieden, die Kernenergie und die erneuerbaren Energien auszubauen, während Deutschland beschlossen hat, die Kernenergie abzuschalten“, so Neugnot.
Aber wie rechtfertigen die Franzosen die Nutzung und sogar den Ausbau der Atomkraftwerke? Wohl nicht wie Klimaschutzorganisationen, die die Atomkraft nicht selten als Risikotechnologie betiteln. Neugnot, der seit mehreren Jahren in der französischen Atombranche arbeitet, nennt gleich drei Gründe, die aus seiner Sicht für die Atomkraft sprechen.
Erstens, die Kernkraft in Frankreich sei eine wichtige Industrie, die mehr als 200.000 Arbeitsplätze umfasse. Zweitens, mit der Atomkraft werde dekarbonisierte Energie erzeugt. „Atomkraft produziert nur wenig CO2 und ist damit fast wie die erneuerbaren Energien“, sagt der Franzose. Drittens, mit den AKWs sei zudem der kontinuierliche Betrieb möglich.
Notstand: AKWs in Frankreich außer Betrieb und erhebliche Risse
Die Leiterin der Atom- und Energiepolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Juliane Dickel, hat zuletzt in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung kritisiert, dass Frankreich erst letzten Winter aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen seine AKWs abgestellt habe. Dabei seien erhebliche Sicherheitsprobleme festgestellt worden. „Die dortigen betriebenen AKWs sind alle schon ziemlich alt, so 35 bis 40 Jahre“, sagt sie. Deshalb gebe es Verschleißerscheinungen.
Neugnot rechtfertigt die vorübergehende Abstellung der französischen AKWs durch eine Reihe von Wartungs- und Reparaturprogrammen, indem er auf eine „spezielle Situation“ und einen „punktuellen Eintritt“ hinweist. An einigen Rohrleitungen seien Vorfälle und Korrosionsprobleme entdeckt worden. Das habe jedoch nichts an der Wahrnehmung der Franzosen und der Entscheidung der Regierung geändert, wieder ein Atomprogramm aufzunehmen. „Weil Frankreich der Meinung ist, dass langfristig nur kohlenstoffarme Energien entwickelt werden sollten“, sagt er uns.
Aber auch die die französische Tageszeitung Le Monde berichtet jetzt von neuen Rissen in Reaktoren. Bereits im ersten Quartal 2023 wurden im Reaktor Nummer 1 von Penly (Seine-Maritime) Risse publik gemacht. Dieser bleibt aber nicht der einzige. Der Betreiber der französischen Nuklearflotte, EDF, hat inzwischen auch an zwei weiteren Blöcken erhebliche Risse festgestellt: In Penly 2 und Cattenom 3 im Département Moselle.
BUND-Klimaexpertin Juliane Dickel fügt dem hinzu, dass die AKWs in Frankreich auch im Sommer meistens abgeschaltet werden. Grund sei der Klimawandel und der damit sinkende Wasserstand. „Durch das ohnehin schon recht warme Wasser und den sinkenden Wasserstand müssen die AKWs im Sommer in Frankreich oft abgeschaltet werden“, sagt sie. Die Reaktoren könnten nicht mehr ausreichend gekühlt werden. „Und dann beliefern wir Frankreich im Sommer regelmäßig mit Ökostrom.“
Wie auch vom Statistischen Bundesamt (Destatis) hervorgeht, war das Jahr 2022 das erste Jahr seit 1990, in dem Deutschland mehr Strom nach Frankreich exportierte als Strom aus Frankreich importierte. Deutschland hat im vergangenen Jahr 62 Prozent weniger Strom aus Frankreich importiert. Ein Jahr zuvor war Frankreich noch das wichtigste Importland für Deutschland. Laut Destatis lässt sich die Entwicklung vor allem auf technische Probleme in den französischen Kernkraftwerken zurückführen.
Frankreich deklariert Atomstrom erfolgreich als nachhaltig
Die Franzosen sind trotz der bekannten Probleme in der Tat für die Fortsetzung der Kernenergie. Das zeigt eine aktuelle Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts Odoxa. Demnach haben 60 Prozent ein positives Bild von der Kernenergie, obwohl es drei Jahre zuvor nur 34 Prozent waren. Und warum ist das so? Laut Neugnot, weil die Franzosen verstanden haben, dass die Kernkraft eine kontinuierliche Energieversorgung ermöglicht und eine Ergänzung zu erneuerbaren Energien darstellt.
er Vertreter der französischen Atombranche glaubt nicht, dass die Debatte in Deutschland über die Abschaltung von Atomkraftwerken zu einer Debatte in Frankreich führen wird. Die BUND-Klimaexpertin hingegen äußert sich kritisch: „Es wird keine Renaissance der Atomkraft geben, aber Frankreich versucht, sie am Tropf zu halten.“ Deshalb habe das Land noch vor dem russischen Angriffskrieg auf EU-Ebene durchgesetzt, dass Atomkraft als nachhaltig in der Taxonomie gilt. „Atomkraft ist mit dem Müll und den Ewigkeitskosten aber wenn dann nur nachhaltig dreckig“, so Dickel.
Ist Atomkraft grüner als erneuerbare Energien?
Für Neugnot hat Frankreich mit dem Ukraine-Krieg und der damit verbundenen Gasproblematik seine Wahl für Atomenergie bestätigt. „Das, was mit dem Krieg passiert ist, hat die allgemeine Wahrnehmung völlig verändert“, sagt er uns. Demnach dachte man, die Nuklearindustrie sei nur mit einer parallelen Entwicklung der Gasindustrie vereinbar. Dabei stoße Gas viel mehr CO2 aus als die Atomkraft.
Bei der Atomkraft liege der Wert bei etwa zwölf Gramm CO2 pro Kilowattstunde, genau wie bei der Windkraft. Bei der Solarenergie seien es etwas mehr als 40 Gramm. Und beim Gas? Hier sagt Neugnot, dass es mehr als 400 Gramm sind. „Das ist fast 40-mal mehr als bei der Atomkraft“, erklärt er. Gegen das Klima zu kämpfen und weiterhin Gas als Stromerzeugung zu verwenden, sei für ihn umstritten. Natürlich könne man mit Gas nicht plötzlich aufhören: „Wenn wir uns aber die langfristige Kohlenstoffneutralität wünschen, werden wir alle zwangsläufig auf Kohle und Gas verzichten müssen.“
Das Wichtigste sei, sich darauf zu einigen, wirklich zu dekarbonisieren. Das heiße weder Gas, noch Kohle oder Öl zu verwenden, wenn die Klimaziele eingehalten werden sollen. Gleichzeitig funktioniere das aber nicht.
Unser Gesprächspartner plädiert für Kohlenstoffneutralität, wenn jedoch alle europäischen Länder gleichzeitig die kontinuierlichen Produktionsmittel, sprich Gas-, Kohle- und Kernkraftwerke abschalten würden, gäbe es ein echtes Problem und die Gefahr eines Blackouts.
Deshalb könne man nie komplett grün in der Stromerzeugung sein. Dafür müsste man das europäische System vollständig isolieren und ausschließlich mit erneuerbaren Energien erzeugen. „Das ist nicht möglich“, so Neugnot zum Schluss.
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