Affäre Döpfner: Zerfalls-Erscheinungen der System-Journaille

Die „Affäre Döpfner“ zeigt die Nervosität innerhalb des Establishments und seiner Propagandisten. Die Staats-Schreiber dulden keine Opposition mehr – nicht einmal die gelenkte aus den eigenen Reihen.

Wenn die „Zeit“ offenbar weder Aufwand noch juristische Risiken scheut, um interne Chatprotokolle des Springer-Chefs zu erhaschen, so fragt man sich vor allem: Weshalb? Denn aus selbstloser Chronistenpflicht wird die immer etwas hochnäsig daherkommende Wochenzeitung ihre für die Einbindung der Unterschichten zuständigen Kollegen wohl kaum öffentlich anzählen. Zumal ein Matthias Döpfner aufgrund seines Aktienanteils am Verlag ohnehin nicht wirksam abgeschossen werden kann.

Gosse und Haltung

Was Döpfner von sich gab, mag in einem Milieu, in dem Triggerwarnungen und Safe Spaces als überlebenswichtig gelten, womöglich tatsächlich für ein pikiertes Naserümpfen sorgen. Doch die nun skandalisierten Pöbeleien sind im Kern weder überraschend, noch einmalig. Wer das Parkett des Journalismus kennt, spürte schon immer, dass die Blattfüller von „Bild“ und Co ihre Leser wohl zu tiefst verachten müssen. Zumindest darin unterscheiden sie sich wahrscheinlich von den Haltungsjournalisten von „Spiegel“, „Zeit“ und „Taz“. In deren Redaktionsstuben findet man das Volk, insbesondere östlich der Elbe, wohl auch ziemlich „eklig“, klammert das eigene Publikum aber vermutlich aus. 

Dass Döpfner nun als die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird, hat also andere Gründe, als die zur Schau gestellte Empörung über dessen flegelhafte Arroganz. Der Vorgang illustriert vor allem die zunehmende Nervosität innerhalb des Establishments, dessen wichtige Stütze „Bild“ stets war und ist.

Im Zweifel linientreu

Immerhin war es Döpfners auflagenstärkstes Blatt, das nach der Grenzöffnung 2015 die Antifa-Parole „Refugees welcome“ zum festen Bestandteil der Herrschaftssprache erhob. Es war die gleiche Postille, die im Angesicht der Corona-Diktatur den Begriff „knallhart“ zum Qualitätsmaßstab für staatliche Unterdrückung erkor und mittlerweile voller Inbrunst zum Krieg treibt. Ein schriftliches Treuebekenntnis zum System und dessen transatlantischen Hegemon gehört übrigens bis heute zu den Einstellungsvoraussetzungen im Springer-Verlag. 

Doch bei aller Linientreue leistete sich „Bild“ immer wieder kleinere Abweichungen. In ruhigen Zeiten sind solche scheinbaren Unbotmäßigkeiten als Ventil erlaubt, vielleicht sogar erwünscht. Spitzt sich die Krise zu, werden die Zügel jedoch angezogen. Man kennt dies aus der Agonie der DDR, als eine immer panischer agierende SED sogar sowjetische Regierungszeitungen aus dem Vertrieb verbannte. 

Warnung verstanden

Soweit geht man im real-existierenden Bundesrepublikanismus noch nicht. Bis auf weiteres belässt man es bei Warnungen. Die unterwürfige Reaktion Döpfners zeigt, dass er sie verstanden hat. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass eine zeitweise elastische Hundeleine keine Pressefreiheit ist – und „Bild“ kein Medium der Opposition.