»Eine direkte Gefahr für die Demokratie«

Reaktionen auf China-Spionageaffäre

Der chinesische Geheimdienst rekrutierte einen belgischen Rechtsaußenpolitiker, Spuren in der Affäre führen auch zur AfD. In Belgien gibt es bereits Konsequenzen, deutsche Politiker fordern eine Neuaufstellung der Spionageabwehr.

(Von Jörg Diehl, Serafin Reiber, Marcel Rosenbach, Fidelius Schmid und Wolf Wiedmann-Schmidt )

Reichstagsgebäude in Berlin, chinesischer Staatspräsident Xi Jinping: Wohlstand, Sicherheit und Demokratie von innen sabotieren

Die SPIEGEL-Enthüllung einer chinesischen Geheimdienstoperation , bei der das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) Politiker rechtsextremer Parteien für seine Zwecke einspannte, hat erste Konsequenzen. Wenige Stunden nach den Veröffentlichungen des SPIEGEL und seiner Recherchepartner »Financial Times« und »Le Monde« meldete sich der Chef der belgischen Partei Vlaams Belang (VB) auf dem Kurznachrichtendienst X zu Wort. Dort verkündete er den sofortigen Parteiausschluss des belgischen Ex-Parlamentariers Frank Creyelman.

Creyelman hat laut der Recherchen über Jahre Aufträge eines chinesischen Geheimdienstmannes ausgeführt und sich offenbar dafür mit Geld und Reisen bezahlen lassen. »Seine Handlungen verstoßen gegen den Sinn und den Wesenskern unserer Partei«, schrieb VB-Chef Tom van Grieken zur Begründung.

»Ich nehme das sehr ernst«, kommentierte der belgische Premierminister Alexander De Croo die Berichterstattung am Rande des Europäischen Rats in Brüssel. »Das würde bedeuten, dass einige Leute unseren Wohlstand, unsere Sicherheit und unsere Demokratie von innen sabotieren, als Teil einer Partei, die in unserem Parlament sitzt.« Dies zeige, führte De Croo weiter aus, dass die extreme Rechte »ziemlich gefährlich für unsere Gesellschaft« sei.

Auch der belgische Justizminister Paul Van Tigchelt bezeichnete Creyelmans Verhalten als »inakzeptabel, weil es eine direkte Gefahr für die Demokratie ist«.

Creyelmans verdeckte Operationen für den chinesischen Geheimdienst gehen aus Hunderten von Textnachrichten hervor, die dem SPIEGEL vorliegen. Sie stammen aus der Zeit von Juni 2019 bis November 2022 und liefern einen einzigartigen Einblick in die verborgene Welt von Chinas wichtigstem Geheimdienst – und dessen Operationen in Europa.

Ein chinesischer MSS-Mann unter dem Namen Daniel Woo erteilt über den Chat dem belgischen Politiker Aufträge. Sie reichen von der Informationsbeschaffung und dem Platzieren chinesischer Propaganda in Medien bis zu sogenannten »Action tasks«. Unter anderem wünscht sich der chinesische Agent die Störung von Veranstaltungen im Europäischen Parlament, die Denunziation chinakritischer Wissenschaftler oder das Einbringen von Anfragen ins belgische Parlament. Als Entlohnung stellt er zwischen 6000 und 10.000 Euro pro Operation in Aussicht, die Bezahlung erfolgte offenbar unter anderem mittels Digitalwährungen.

In den Chatnachrichten sprechen der Geheimdienstmann und sein Gegenüber mehrfach über »unsere Abgeordneten«, die sie für ihre Zwecke und Ziele einspannen wollen. Gemeint sind Politiker sowohl aus dem Europäischen Parlament als auch aus dem Bundestag.

In einem der Aufträge zur politischen Einflussnahme verlinkt der Chinese beispielhaft auf eine Kleine Anfrage, die im Frühjahr 2021 der AfD-Parlamentarier Stefan Keuter in den Bundestag eingebracht hat. Darin ging es um die Unruhen in Hongkong und eine vermeintliche Einreisewelle angeblich gewaltbereiter Aktivisten der dortigen Demokratiebewegung.

»Voriges Jahr haben wir Druck auf die deutsche Regierung ausgeübt, um ihre Gewalt und ihre Einwanderungsziele zu zeigen«, schreibt der chinesische Agent mit Verweis auf die Regimekritiker im Chat mit dem Belgier. Er fragt, ob es Creyelman möglich sei, diesen »AfD-Case« in Flandern oder im belgischen Parlament zu kopieren. Rund zwei Monate später reicht der Bruder des belgischen Politikers, ein Abgeordneter des belgischen Parlaments, tatsächlich eine Anfrage zu diesem Thema ein, mit in Teilen wortgleichen Fragen wie in der AfD-Anfrage.

Reinhard Bütikofer, China-Experte der Grünen im Europaparlament, vermutet angesichts der Enthüllungen ein System: »Dass die bekannt gewordene Anwerbung eines rechten belgischen Parlamentariers für chinesische Einflussoperationen ein Einzelfall gewesen sein könnte, sollte niemand annehmen.«

»Offenes Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik«

»Der Vorwurf, im Auftrag und Interesse der chinesischen Regierung parlamentarische Rechte ausgeübt zu haben, wiegt schwer und muss unverzüglich aufgeklärt werden«, sagt Benjamin Strasser (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesjustizministerium. Wer so etwas tue, »legt die Axt an unsere offene Gesellschaft und ist sicherlich keine politische Alternative für Demokraten«.

Strasser fordert ein Ende der Naivität: »Wir stehen seit Jahren im Visier von Desinformation und Einflussnahme autoritärer und diktatorischer Regime.« Das Ziel sei offensichtlich, »unsere liberale Demokratie und den Rechtsstaat zu zerstören«.

»China ist ein autoritärer Staat, der weltweit seinen Einfluss ausweiten will«, sagte Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Europausschusses im Bundestag. »Dazu nimmt das chinesische Regime auch gezielt Kontakt zu rechtsradikalen Kräften wie der AfD auf.« Es brauche »endlich ein Bewusstsein für die unterschiedlichsten Angriffe, denen unsere Demokratie ausgesetzt ist« und »wirksame Maßnahmen gegen die Desinformationskampagnen aus Russland und China«, sagte Hofreiter.

FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle bezeichnete das Handeln der AfD als »offenes Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik« Dass die Partei die Oppositionsrechte im Bundestag offenbar »als Mittelsmann« für China genutzt habe, sei »eine neue und besonders perfide Form der Unterwanderung«, sagte Kuhle. Er forderte die Bundestagsverwaltung auf, zu prüfen, »inwiefern Anfragen zurückgewiesen werden können, die im Auftrag fremder Mächte eingereicht werden«.

»Willfährige Lakaien für die Interessen Russlands und Chinas«

»Von Moskau bis Peking weiß man genau: Ob gegen Bezahlung, gegen eine Reiseeinladung oder für einen feuchten Händedruck — die AfD besteht aus willfährigen Lakaien für die Interessen Russlands und Chinas«, sagte der FDP-Innenexperte weiter. Das Ziel dieser Staaten sei, »die Destabilisierung offener Gesellschaften, damit das eigene autoritäre politische Ordnungsmodell im Vergleich besser dasteht«.

Für den SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler zeigten die Berichte über die Spionageaffäre und deren Verbindungen zur AfD, »dass es sich bei den selbst ernannten Patrioten in Wahrheit um Staatsfeinde handelt«. Politiker der Rechtsaußenpartei beteiligten sich als »Handlanger Chinas und Russlands« daran, »unseren demokratischen Rechtsstaat zu unterwandern und zu destabilisieren«, sagte Fiedler.

Der CDU-Sicherheitspolitiker und Geheimdienstkontrolleur Roderich Kiesewetter forderte: »Wir müssen die Naivität gegenüber China endlich ablegen und unsere Chinapolitik grundlegend ändern.« Die Volksrepublik sei selbst im Vergleich mit Ländern wie Russland, Iran und Nordkorea »die größte Bedrohung für die regelbasierte Ordnung und unsere freiheitliche Demokratie«.

Neuaufstellung der Spionageabwehr gefordert

China könne auf »die Unterstützung rechter und linker Parteien bauen«, deren Abgeordnete die Kommunisten »gezielt als Instrumente im hybriden Krieg« einspannten, führte Kiesewetter weiter aus. Die deutschen Nachrichtendienste sollten ihr Augenmerk »auf die Untergrabung unserer Ordnung durch gewählte Vertreter in den Parlamenten legen«, forderte er. Für den CDU-Politiker steht fest: »So wie es eine Russland-Connection gibt, hat auch China seine Connection in der deutschen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.«

Der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz sagte, die Sicherheitsbehörden würden seit langem »vor einer strategisch betriebenen Spionage aus und durch China« warnen. »Ob weitreichende Wirtschaftsspionage, Attacken auf kritische Infrastrukturen oder Angriffe auf die Freiheit der Wissenschaft«, ergänzte er und forderte eine »Neuaufstellung und Stärkung der Spionageabwehr«. Dies sei »auch und gerade mit Blick auf China« dringend nötig, so von Notz. Der Grünenpolitiker ist Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums im Bundestag, das die Nachrichtendienste beaufsichtigt.