Willy Wimmer: USA wollen Russland aus Europa verdrängen

Über die US-Interessen in Europa seit Ende des Kalten Krieges äussert sich der ehemalige CDU-Politiker Willy Wimmer in einem Interview. Die bestimmen laut ihm auch den Ukraine-Krieg und die deutsche Politik.

Wäre es nach 1990/91 zu einer echten Zusammenarbeit zwischen den westlichen Staaten in Europa und Russland gekommen, hätte das den Einfluss der USA auf Europa geschwächt. «Das galt es zu verhindern», so der ehemalige CDU-Politiker Willy Wimmer über die Motive der USA, nach dem Ende des Kalten Krieges eine neue Teilung Europas anzustreben.

Er sagt das in einem Interview, das in dem kürzlich erschienenen Sammelband «Ukrainekrieg – Warum Europa eine neue Entspannungspolitik braucht» veröffentlicht wurde. Wimmer war 1988 bis 1992 Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und als CDU-Bundestagsabgeordneter 1994 bis 2000 Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Seit Jahren macht er auf die grundlegenden US-Interessen gegen Europa aufmerksam und warnt vor den Folgen der darauf basierenden Politik. In dem Interview kritisiert er die «deutsche Politik im Fahrwasser US-amerikanischer Interessen».

Die US-Führung habe nach dem Kalten Krieg entgegen aller Hoffnungen auf einen dauerhaften Frieden auf dem Kontinent das Ziel verfolgt, «die Russen bis hinter das Schwarze Meer zurückzudrängen und eine endgültige ‹rote Linie› quer durch Europa zu ziehen.» Alles westlich dieser Linie wurde als Machtbereich der USA gesehen, während alles auf der östlichen Seite nicht weiter interessierte, so Wimmer.

«Es wurde von US-Seite also eine klare Verdrängungspolitik zur Separation Russlands von der US-dominierten Machtsphäre in Europa betrieben, um die eigenen Interessen in Europa zu sichern.»

Das setzt sich seiner Ansicht nach bis heute, bis zum Ukraine-Krieg fort: Russland kämpfe dagegen, aus Europa verdrängt zu werden. Seine Verdrängung bleibe die Voraussetzung für die fortgesetzte Hegemonie der USA.

Dieser gehe es immer noch darum, «eine gesamteuropäische Zusammenarbeit, die Russland einbezieht, zu verhindern, weil das ihre Pläne durchkreuzen würde». Aus Sicht des früheren CDU-Politikers wird eine Friedenslösung im Krieg in und um die Ukraine nicht möglich sein, «wenn die USA an ihren Plänen festhalten».

Deutsche Ohnmacht gegenüber US-Interessen

In dem Interview geht Wimmer auf die Entwicklung bis hin zum jetzigen kriegerischen Konflikt zwischen Ost und West ein. Es habe anfangs Signale für ein «Zeitalter des Friedens und der Kooperation» gegeben, so durch die «Charta von Paris für ein neues Europa» im November 1990 und den vorherigen Nato-Beschluss aus dem Sommer 1990, sich in eine politische Organisation zu verändern.

Aber diese seien spätestens durch einen Kurswechsel in der US-Politik 1992 beiseitegeschoben worden. Doch schon zuvor sei klar geworden, dass im Westen wenig Interesse bestand, die Zusagen an Moskau im Zuge der deutschen Einheit auch einzuhalten, so die zur NATO-Osterweiterung.

Im Frühjahr 1992 haben sich laut Wimmer in der US-Spitze die Neokonservativen (Neocons) um Paul Wolfowitz durchgesetzt, der damals mit der nach ihm benannten Doktrin das Ziel beschrieb, die globale US-Hegemonie zu erhalten und auszuweiten. «Respekt vor historischen Empfindsamkeiten war und ist den Vertretern dieser Neocon-Doktrin ebenso fremd wie die Rücksichtnahme auf die nationalen Interessen anderer Staaten», stellt der ehemalige CDU-Politiker fest.

«Andere Staaten stellen sich entweder auf die Seite der USA oder sie werden als Konkurrenten oder Feindstaaten ins Visier genommen.»

Die bundesdeutsche Politik sei in den frühen 1990er Jahren an die Vorgaben aus den USA angepasst worden. Laut Wimmer war der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl eigentlich dagegen:

«Kohl war der Ansicht, so dürfe mit einem grossen Volk – den Russen – nicht umgegangen werden, weil man ansonsten Gefahr laufe, in die nächste antagonistische Situation zu geraten. Er sollte damit Recht behalten.»

Dass Kohl dennoch den US-Vorgaben folgte, sei «Ausdruck politischer Ohnmacht gegenüber Washington» gewesen. Der Spielraum für sicherheitspolitische Entscheidungen im Sinne deutscher Interessen sei kleiner geworden, da Washington erwartete, dass die Bundesregierung der US-Doktrin folge. Für Wimmer ist es «kein Zufall, dass der Nato-Angriff auf Jugoslawien [1999] nur wenige Monate erfolgte, nachdem die neue rot-grüne Bundesregierung im Amt war».