Noch mehr Macht für Erdogan

Mit den Wahlen in der Türkei ist die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Der Präsident wird nun zugleich Staats- und Regierungschef, das Parlament verliert Befugnisse.

Die Einführung des Präsidialsystems ist Recep Tayyip Erdogans wichtigstes politisches Projekt. Nun, nach den Wahlen in der Türkei vom Sonntag, tritt es in Kraft. Nachdem die Verfassungsreform bei einem umstrittenen Volksentscheid im April 2017 mit knapper Mehrheit gebilligt worden war, sicherte sich Erdogan bei der Präsidentschaftswahl auch ein neues Mandat. Mit dem neuen System wird er noch mehr Macht haben als zuvor.

Kritiker befürchten, dass es eine Ein-Mann-Herrschaft ermöglicht. Die Verfassungsexperten der „Venedig-Kommission“ des Europarates warnten mit Blick auf die Reform vor einem „gefährlichen Rückschritt in der verfassungsmäßigen demokratischen Tradition der Türkei“.

Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

BEREITS UMGESETZT:

  • Der Präsident darf einer Partei angehören: Erdogan trat im Mai 2017 erneut der von ihm mitbegründeten islamisch-konservativen Regierungspartei AKP bei. Im selben Monat ließ er sich wieder zum Parteivorsitzenden wählen.
  • Der Präsident hat mehr Einfluss auf die Justiz: Im Rat der Richter und Staatsanwälte (HSK) kann er vier der 13 Mitglieder bestimmen, das Parlament sieben weitere. Feste Mitglieder bleiben der Justizminister und sein Staatssekretär, die der Präsident ebenfalls auswählt. Das Gremium ist unter anderem für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. Der Rat wurde bereits im Mai 2017 neu besetzt. Im alten System hatten die Juristen selbst die Mehrheit des zuvor 22-köpfigen Gremiums bestimmt.
  • Die Militärgerichte wurden abgeschafft.

UMSETZUNG MIT DEN WAHLEN:

  • Parlament und Präsident werden am selben Tag für die Dauer von fünf Jahren vom Volk gewählt. Beide Wahlen waren eigentlich für November 2019 geplant, Erdogan hat sie aber vorziehen lassen. Die zeitgleiche Wahl erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die Partei des jeweiligen Präsidenten über eine Mehrheit im Parlament verfügt.
  • Der Präsident wird nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten entfällt. Er wird nicht mehr vom Parlamentspräsidenten, sondern von einem Vizepräsidenten vertreten. Der Präsident ist für die Ernennung und Absetzung einer von ihm selbst bestimmten Anzahl Vizepräsidenten und Minister sowie aller hochrangigen Staatsbeamten zuständig. Das Parlament hat kein Mitspracherecht. Mitglieder des Kabinetts dürfen nicht Abgeordnete sein. Wer für die Präsidentschaft kandidiert, darf sich nicht zugleich um ein Abgeordnetenmandat bewerben.
  • Der Präsident kann in Bereichen, die die Exekutive betreffen, Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, die mit Veröffentlichung im Amtsanzeiger in Kraft treten. Eine Zustimmung durch das Parlament ist nicht nötig. Dekrete werden unwirksam, falls das Parlament zum jeweiligen Bereich ein Gesetz verabschiedet. Präsidiale Dekrete dürfen Verfassungsrechte nicht einschränken und schon gesetzlich bestimmte Regelungen nicht betreffen. Gesetze darf – bis auf den Haushaltsentwurf – nur noch das Parlament einbringen.
  • Die Anzahl der Abgeordneten steigt von 550 auf 600. Parlamentarische Anfragen gibt es nur noch schriftlich an die Vizepräsidenten und Minister.
  • Neuwahlen können sowohl das Parlament als auch der Präsident auslösen, im Parlament ist dafür eine Dreifünftelmehrheit notwendig. In beiden Fällen werden sowohl das Parlament als auch der Präsident zum gleichen Zeitpunkt neu gewählt – unabhängig davon, welche der beiden Seiten die Neuwahl veranlasst hat.
  • Die Amtszeiten des Präsidenten bleiben auf zwei beschränkt. Die Regierungspartei AKP hat aber eine Hintertür eingebaut: Sollte das Parlament in der zweiten Amtsperiode des Präsidenten eine Neuwahl beschließen, kann der Präsident noch einmal kandidieren.
  • Die Zählung der Amtszeiten soll unter dem neuen Präsidialsystem neu beginnen.
  • Gegen den Präsidenten kann nicht nur wie bislang wegen Hochverrats, sondern wegen aller Straftaten ermittelt werden. Allerdings ist eine Zweidrittelmehrheit aller Abgeordneten im Parlament notwendig, um eine entsprechende Untersuchung an die Justiz zu überweisen.

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