Die Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation haben ihre Proteste in Berlin wieder aufgenommen. Dafür ernten sie von einigen Seiten Unverständnis und auch immer öfter Wut. Ein Psychologe erklärt, wann Wut in Gewalt umschlägt und wie Protest wirklich Erfolg hat.
Rolf van Dick ist Sozialpsychologe an der Goethe-Universität Frankfurt. Er hält Protest für den Klimaschutz für richtig, die Aktionen der Letzten Generation aber für falsch. Sie lösten vor allem Wut vieler Bürgerinnen und Bürger aus, anstatt Unterstützung für den Kampf gegen die Erderwärmung.
Warum machen die Protestaktionen der Letzten Generation einige Menschen so wütend?
Es sind ganz unterschiedliche Leute, die auf ganz unterschiedliche Arten wütend sind. Man kann und sollte sie nicht alle in einen Topf schmeißen. Diejenigen zum Beispiel, die morgens auf dem Weg zur Arbeit in einen unerwarteten Stau kommen, weil sich Klimakleber auf der Straße festgesetzt haben, betrifft es auf eine ganz andere Art und Weise als diejenigen, die vielleicht als Kulturinteressierte in den Abendnachrichten mitbekommen, dass irgendwo auf ein Bild ein Attentat verübt wurde.
Was steckt dahinter?
Ein Motiv ist, dass man vielleicht ein schlechtes Gewissen hat, dass man gerade mit seinem SUV die Kinder 800 Meter zur Schule gefahren hat, weil es ein bisschen nieselt. Oder dass man gerade die Kreuzfahrt gebucht hat und dass man genau weiß, man müsste eigentlich anders handeln.
Wir nennen das kognitive Dissonanz: Ich hab gerade irgendetwas gemacht, das klimatechnisch nicht 100-prozentig in Ordnung ist. Gleichzeitig möchte ich gern, dass unsere Erde erhalten bleibt. Das widerspricht sich und erzeugt einen unangenehmen Zustand. Wenn andere mich durch Protestaktionen auf meine Widersprüche hinweisen, begegne ich diesen Menschen, indem ich sie abwerte, indem ich sage, dass sie Kriminelle und Verrückte sind. Dadurch bringe ich mein System wieder ein bisschen mehr in Balance und habe weniger Grund, mich selbst infrage zu stellen.
Hat es auch damit zu tun, dass die Menschen sich eingeschränkt fühlen, wenn sie beispielsweise im Stau stehen?
Immer dann, wenn wir uns in unserer Freiheit eingeschränkt fühlen, vor allem durch andere, und wir denken, das ist illegitim, reagieren wir heftig. Und das passiert bei den Umweltaktivisten der Letzten Generation. Hier nehmen viele Menschen für sich wahr, dass es illegitim ist. Weil man sich nicht nur bevormundet, sondern in seinem Grundbedürfnis nach Freiheit eingeschränkt fühlt.
Ist das auch der Grund, wieso manche Menschen gegenüber den Klimaaktivisten gewalttätig werden?
Da muss man differenzieren. Manche Menschen fühlen sich sehr schnell sehr unwohl. Je größer der Druck wird und je unwohler sie sich fühlen, desto schneller kommt es dazu, dass es knallt. Das hängt noch von einer anderen Persönlichkeitsvariable ab: Aggressivität. Manche Menschen brauchen unheimlich lange, bis bei ihnen der Kessel explodiert, und bei anderen reicht schon der kleinste Anlass. Hinzu kommt die Nähe, die ich zu der Situation habe. Diejenigen, die drei Kilometer weit hinten im Stau stehen, werden ja nicht aggressiv. Sondern diejenigen, die ganz vorn stehen und eigentlich wissen, sie hätten nur fünf Minuten eher kommen müssen, dann wären sie schon auf der Arbeit. Da kommt eine Aggressivität auf in einer Situation, in der man sich extrem eingeschränkt fühlt und dann kommt noch Pech dazu.
Werden einige auch so wütend, weil die Proteste „die Falschen“ treffen? Ein Lkw-Fahrer kann ja beispielsweise nicht viel an der Klimapolitik der Bundesregierung ändern.
Das ist das, was ich mit illegitim meine. Wenn die Klimakleber sich vor die Bundesregierung setzen, Eingänge zum Bundeskanzleramt blockieren oder Abgeordnete ihretwegen im Stau stehen würden, hätten viel größere Teile der Bevölkerung Verständnis dafür. Oder wenn man sich vor große Konzerne, die klimaschädlich produzieren, kleben würde. Aber Kunstwerke von Künstlern, die vor 500 Jahren gestorben sind, zu beschmieren oder eben Straßen zu blockieren, in denen der normale Bürger, die normale Bürgerin sich bewegt, dafür hat man dann eben kein Verständnis.
Wollen Sie damit sagen, dass es weniger Wut gegenüber den Aktivisten geben würde, wenn die Protestformen anders wären?
Ja. Wir sind in einer Situation, in der es immer noch eine Minderheit ist, die für eine andere Welt kämpft – die übrigens dringend nötig ist. Minderheiten können durchaus einflussreich sein und langfristig etwas bewirken, das haben wir bei Martin Luther King gesehen oder bei der Frauenbewegung. Wichtig dabei ist aber immer gewesen, dass diese Minderheiten nicht dogmatisch rüberkommen, nicht rigide, dass man sie nicht abwerten kann. Ich glaube, das wäre ein klügerer Weg, um die Mehrheit in Deutschland zu überzeugen. Man muss Alternativen aufzeigen, man muss verbindlich bleiben. In dem Moment, in dem man als verrückt abgestempelt wird, hat man keinen Einfluss mehr.
Hat sich nicht durch Fridays for Future gezeigt, dass der einfache Straßenprotest nicht mehr ausreicht?
Das lag daran, weil sie nicht genug Druck ausgeübt haben. Das hing auch damit zusammen, dass die Adressaten irgendwann nicht mehr reagiert haben und auch die Medien das Interesse verloren haben. Das hatte auch etwas mit Corona zu tun und dass wir seit über einem Jahr einen Krieg in der Ukraine haben. Dabei ist das viel dringendere Problem der Klimakrise etwas aus dem Blick geraten. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn die Aktivisten ohne Corona hätten weitermachen können und ihr Protest an Fahrt aufgenommen hätte.
Die Klimaaktivisten der Letzten Generation wählen ihre Protestform ja auch, weil sie wütend sind und mehr Berichterstattung durch die Medien wollen.
Die Menschen in den Staus sind wütend, weil sie zu spät zur Arbeit kommen. Welche Seite hat mehr Recht auf ihre Wut?
Wenn man Klimaforscherinnen und ‑forscher fragt, dann haben durchaus diejenigen das Recht auf Wut, die warnen und mahnen. Weil wir sie brauchen, damit unsere Erde nicht untergeht. Als Psychologe würde ich sagen, gerade in Fällen, wo beide Seiten nur ihre Positionen verteidigen, ist es absolut nötig, dass nicht jede Seite der anderen die Schuld gibt, sondern dass man wieder eine Sprache findet und versucht, Lösungen zu erarbeiten.
Gibt es einen Weg, die Wut aufzulösen?
Als Psychologe würde ich den Vertretern und Vertreterinnen der letzten Generation empfehlen, ihre Aktionen zu verändern und zu versuchen, nicht Unbeteiligte und Betroffene zu adressieren, sondern diejenigen, die Entscheidungskompetenzen und ‑gewalt haben. Also in erster Linie Politik, in zweiter Linie Wirtschaftsführer. Und da dann stark darauf aufmerksam zu machen, was alles nicht passiert und dass es aber allerhöchste Eisenbahn ist, dass mehr passiert. Macht doch viel direkter Druck und bringt vielleicht 2000 Politikerinnen gegen euch auf. Aber lasst 80 Millionen Deutsche in Ruhe. Bringt sie im besten Fall auf eure Seite, damit dieser Druck multipliziert wird.
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