Verdacht der Nato: Russland vermint Pipelines und Kabel in der Ostsee

Die Times aus London berichtet, Öl- und Gasunternehmen hätten über Sprengladungen an Unterwasserinfrastruktur informiert. Sie könnten jederzeit detoniert werden.

Die Gasförderplattform Troll A vor der norwegischen Westküste besuchten kürzlich Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär, Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission und Jonas Gahr Store, Ministerpräsident von Norwegen.

(Anm.: Die Täter versuchen immer noch, die Sprengung Rußland anzuhängen )

Nato-Mitarbeiter hegen den dringenden Verdacht, dass die Russische Föderation in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Unterseepipelines und -kabeln in der Ostsee vermint haben könnte. Damit ließen sich diese jederzeit in die Luft jagen. Darüber berichtet die Times aus London (Paywall).

Die Einschätzungen der Nato gehen laut einem anonymen Nato-Mitarbeiter auf Informationen privater Öl- und Gasunternehmen zurück, die in der Ostsee Ölplattformen, Pipelines und Kommunikationsinfrastruktur unterhalten.

Deutscher Ex-General leitet Unterwasserschutz-Einheit der Nato

Mitte Februar hatte die Nato infolge der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines eine Sondergruppe eingesetzt, um die Sicherheit der Unterseeinfrastruktur in der Nord- und Ostsee besser prüfen und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen ergreifen zu können. Der deutsche Drei-Sterne-General a.D. Hans-Werner Wiermann wurde im April 2023 mit der Leitung der sogenannten Koordinierungszelle für kritische Unterwasserinfrastruktur der Nato beauftragt.

In einem Interview mit der Welt äußerte Wiermann sich kürzlich zu russischen Minen an der Unterwasserinfrastruktur westlicher Staaten: „Man kann sich auch vorstellen, dass zunächst nur Vorbereitungen getroffen werden, zum Beispiel Sprengladungen platziert werden, deren Zündung aber erst zu einem späteren Zeitpunkt geplant ist.“

Der Unterschied zwischen Angriffen an Land und unter Wasser

Das Gremium, das Wiermann leitet, hat die Aufgabe herauszufinden, welche Maßnahmen Russland seit den Explosionen der Nord Stream Gaspipelines im vergangenen Herbst ergriffen hat. Im Juli soll die Gruppe auf dem NATO-Gipfel in Litauen einen Bericht über die Ergebnisse ihrer Untersuchung vorlegen.

Doch wieso sollte Russland überhaupt derart an Unterwasser- und Offshore-Infrastrukturen interessiert sein? Ein Grund sind die Konsequenzen eines möglichen Angriffs. Im Unterschied zu Energieinfrastruktur auf dem Festland befinden sich die längsten Abschnitte der Unterwasserpipelines und Datenkabel in internationalen Gewässern. Während der Angriff auf ein Elektrizitätskraftwerk oder eine Raffinerie an Land einen unmittelbaren, kriegerischen Akt darstellen würde, ist das auf hoher See nicht zwingend der Fall. Außerdem gibt es bei Unterwasser-Maßnahmen fast immer die Möglichkeit, eine Sabotage zu leugnen.

Auch, weil Satelliten eben nicht unter die Wasseroberfläche schauen können, ist zum Beispiel noch immer nicht klar, wer die Nord-Stream-Pipelines in die Luft gesprengt hat. Recherchen des amerikanischen Investigativ-Journalisten Seymour Hersh deuten auf eine Aktion der US-Geheimdienste mit ihren dänischen Kollegen hin. Die Bundesanwaltschaft geht der Spur einer Jacht nach, die auf eine ukrainische Gruppe schließen lassen könnte. Und letzte Woche erklärte das dänische Verteidigungsministerium, dass sich ein russisches Spezialschiff nur vier Tage vor den Explosionen in der Nähe der Nord-Stream-Gaspipelines befand.

Auch auf den Weltmeeren ist man verwundbar

Wiermanns Aufgabe erstreckt sich jedoch nicht nur auf Ost- und Nordsee. Deutschland und Norwegen hätten sich an Nato Generalsekretär Jens Stoltenberg gewandt und dafür plädiert, dass die Allianz kritische Unterwasser-Infrastruktur auch im Atlantik und im Mittelmeer schützen soll. „Durch die Straße von Gibraltar beispielsweise verlaufen viele Unterseekabelstränge, die strategisch relevant sind“, sagte er der Welt. Durch die Kabel verlaufen die meisten weltweiten Datenströme. Im Falle eines Konflikts zwischen Russland und der Nato ließe sich Europa durch einen Eingriff hier von einem Großteil des Datenverkehrs mit den USA abschneiden.

Klar ist aber auch: Selbst mit neuen Sensoren, Unterwasserdrohnen und ausgeweiteten Patrouillen werden die NATO-Länder nie in der Lage sein, alle Seegebiete des Verteidigungsbündnisses zu sichern.