«Foreign Affairs» plädiert für ein Ende des Krieges in der Ukraine


Selbst aus ukrainischer Sicht sei es unklug, stur auf einen umfassenden militärischen Sieg hinzuarbeiten, der sich als Pyrrhussieg erweisen könnte, so die einflussreiche Zeitschrift.

Es lässt aufhorchen, wenn selbst die elitäre Foreign Affairs für ein Ende des Krieges in der Ukraine plädiert. Die Zeitschrift, die von der mächtigen Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR) herausgegeben wird, ist der Ansicht, dass der Westen eine neue Strategie braucht:

«Einen Plan, um vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu gelangen.» Richard Haass und Charles Kupchan, die Autoren des Beitrags, auf den l’AntiDiplomatico aufmerksam machte, erläutern:

«Wenn die angekündigte Offensive der Ukraine vorbei ist, könnte Kiew die Idee einer Verhandlungslösung wieder in Betracht ziehen. Dies, nachdem es seine besten Anstrengungen unternommen hat und sich der Grenzen der ausländischen Hilfe bewusst geworden ist.»

Haass und Kupchan zufolge sollten die Verhandlungen innerhalb dieses Jahres beginnen.

Vom Waffenstillstand zum Frieden?

Nach der Erwähnung der Gründe, warum Russland diese Aussicht begrüssen könnte, fährt der Artikel fort:

«Selbst aus ukrainischer Sicht wäre es unklug, stur auf einen umfassenden militärischen Sieg hinzuarbeiten, der sich als Pyrrhussieg erweisen könnte. Die ukrainischen Streitkräfte haben bereits über 100’000 Verluste erlitten und viele ihrer besten Soldaten verloren. Die ukrainische Wirtschaft ist um rund 30 Prozent geschrumpft, die Armutsrate steigt, und Russland bombardiert weiterhin die kritische Infrastruktur des Landes. Etwa acht Millionen Ukrainer sind aus dem Land geflohen, und Millionen weitere sind Binnenvertriebene. Die Ukraine sollte nicht die Selbstzerstörung riskieren, indem sie Ziele verfolgt, die wahrscheinlich unerreichbar sind.»

Selbst bei einem grossen Erfolg der Offensive sei es «unwahrscheinlich», dass das gesamte verlorene Territorium zurückgewonnen werden könne:

«Angesichts der steigenden Kriegskosten und der Aussicht auf eine militärische Pattsituation lohnt es sich, auf einen dauerhaften Waffenstillstand zu bestehen, der einen neuen Konflikt verhindern und – noch besser – die Grundlage für einen dauerhaften Frieden schaffen kann.»

Am Ende der Gegenoffensive, die in jedem Fall durch eine Aufstockung der ausländischen Hilfe unterstützt werden muss, «werden sogar die Vereinigten Staaten und Europa guten Grund haben, ihre erklärte Politik der Unterstützung der Ukraine ‹so lange wie nötig› aufzugeben». Die Kosten des Konflikts, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch, seien zu hoch.

Daher schlagen Haass und Kupchan eine Friedensinitiative vor, die, um erfolgreich zu sein, auch Indien und China einbeziehen sollte. In dem Artikel werden auch die Konturen für künftige Verhandlungen skizziert. Vorgeschlagen wird, dass ein Teil des Donbass Russland überlassen und eine entmilitarisierte Zone geschaffen werden soll. Letztere soll diese Regionen vom Rest der Ukraine trennen, in die weiterhin Waffen gelangen würden. Dank eines Sicherheitsabkommens mit einigen Ländern, die die Verteidigung der Ukraine garantieren – darunter die USA – soll die Ukraine zusätzlichen Schutz geniessen.

Ausserdem soll von Kiew nicht verlangt werden, dass es für immer auf seine territoriale Integrität verzichtet, sondern nur, dass es diese Aussicht auf eine unbestimmte verschiebt. Schliesslich sollte Kiew die Mitgliedschaft in der Europäischen Union gewährt werden, um seine Erholung und Entwicklung zu gewährleisten.

L’AntiDiplomastico erachtet diese Bedingungen für Moskau als inakzeptabel, insbesondere die unbegrenzte Wiederaufrüstung, doch es sei «ein Kurswechsel gegenüber dem derzeitigen Maximalismus und eine Verhandlungsgrundlage».

Darüber hinaus, so schreiben die Autoren in Foreign Affairs, sollte auch ein umfassenderes Sicherheitsabkommen mit Russland ausgehandelt werden, das eine globale Konfrontation mit der NATO vermeidet.

Natürlich könnte sich Kiew wehren, so Haass und Kupchan, doch sie weisen darauf hin, dass die NATO über viele Hebel verfügt, um Druck auszuüben, da die Ukraine von westlicher Hilfe abhängig ist. Und weiter:

«Über ein Jahr lang hat der Westen der Ukraine erlaubt, den Erfolg zu definieren und die Ziele des Westens in diesem Krieg festzulegen. Diese Politik, unabhängig davon, ob sie zu Beginn des Konflikts sinnvoll war, hat sich nun erledigt.»

Das liege daran, dass die Ziele der Ukraine mit anderen westlichen Interessen in Konflikt geraten. Und das sei unhaltbar, weil die Kosten des Krieges steigen und die westliche Öffentlichkeit und ihre Regierungen dieser fortgesetzten Unterstützung überdrüssig würden. Foreign Affairs weiter:

«Als Weltmacht müssen die USA erkennen, dass eine maximale Definition der Interessen, die in diesem Krieg auf dem Spiel stehen, zu einer Politik geführt hat, die zunehmend mit anderen Prioritäten der USA kollidiert.»

Daher müssen sie «der Ukraine helfen, sich zu verteidigen und auf dem Schlachtfeld voranzukommen, um sie in die bestmögliche Position am Verhandlungstisch später in diesem Jahr zu bringen.»

In der Zwischenzeit sollte Washington den Autoren zufolge einen diplomatischen Kurs einschlagen, der die Sicherheit und Lebensfähigkeit der Ukraine innerhalb ihrer faktischen Grenzen gewährleistet. Gleichzeitig sollte auf die Wiederherstellung der langfristigen territorialen Integrität des Landes hingearbeitet werden. Haass und Kupchan schliessen:

«Dieser Ansatz mag für einige zu viel und für andere nicht genug sein. Aber im Gegensatz zu den Alternativen hat er den Vorteil, dass er das Wünschenswerte mit dem Machbaren verbindet.»


Quelle:

Foreign Affairs: The West Needs a New Strategy in Ukraine – 13. April 2023

L’AntiDiplomatico: Foreign Affaires indica la data in cui la guerra in Ucraina „deve finire“ – 27. Mai 2023


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