Sag mir, wo die Blumen sind

Ausgerechnet die Grünen gelten manchen als Kriegstreiber. Wie konnte es dazu kommen?

Beginnen wir mit einem kleinen Ratespiel: Wer hat’s gesagt?

„Die Grünen sind die gefährlichste Partei im Deutschen Bundestag.“ Sie seien „richtige Waffennarren geworden“, die sich „gar nicht mehr einkriegen können vor Begeisterung, immer schwereres Kriegsgerät“ in die Ukraine zu liefern.

Die Grünen „opfern unseren Wohlstand“, um sich „zu Kriegshelden aufzuschwingen“. „Sie sind eine fanatische Partei.“

„Man hat den Eindruck, die Grünen reden sich geradezu in einen Kriegsrausch.“ Die Eskalation von Sprache könne rasch zur Eskalation von Gewalt führen. „Deshalb sage ich: Herr Scholz, stoppen Sie endlich Frau Baerbock.“

Lösung: Das erste Zitat stammt von der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, das zweite vom ehemaligen Bild-Chef Julian Reichelt und das dritte vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Drei begabte Populisten, dreimal fast dieselbe Wortwahl, was für sich genommen ja schon einmal interessant ist. Oder?

Na ja, kann man nun sagen, das sind nun einmal die Heizdeckenverkäufer des Volkszorns, wenn man die als Gegner hat, steht man bestimmt auf der richtigen Seite. So in etwa klingt das, was einem manche Grünen-Funktionäre erzählen, ergänzt um ein paar Ausführungen zum besonderen „Verantwortungsbewusstsein“ der Grünen, die es sich wirklich nicht leicht machten, sondern, im Gegenteil, „manchmal sogar zu komplex denken“ und so weiter.
Aber ganz so einfach ist die Sache dann eben doch nicht. Denn bei anderen, nachdenklicheren Grünen kann man derzeit im Gespräch ein gewisses Unbehagen an sich selbst erkennen. Sie sorgen sich, dass die eigene Selbstgewissheit immer heftigere Gegenreaktionen hervorbringt. Und sie beginnen sich Fragen zu stellen, zum Beispiel diese: Wie kann es eigentlich sein, dass ein relevanter Teil der deutschen Gesellschaft die Grünen für Kriegstreiber hält? Liegt es womöglich nicht nur an der Gemeinheit der anderen, sondern auch an den eigenen Fehlern? Könnte es sein, dass die Grünen am Ende eine Polarisierung befördern, die sie eigentlich vermeiden wollen?

Es geht bei diesen Fragen nicht nur um Außenpolitik. Es geht, Obacht, um die Seele der grünen Partei, weshalb man sich gedanklich für einen Moment zurückversetzen sollte ins Jahr 1999, in die Bielefelder Seidensticker-Halle. Es ist eine Szene aus dem Daumenkino der Bundesrepublik: Joschka Fischers farbverschmiertes Jackett, die wütenden Rufe seiner Widersacher, die den Kosovo-Einsatz ablehnen. „Geliebte Gegner“, rief er in die Halle, und es folgte eine Rede für die Geschichtsbücher, in jeder Hinsicht. „Ich stehe auf zwei Grundsätzen –“, so begann die entscheidende Passage, „nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus: Beides gehört bei mir zusammen, liebe Freundinnen und Freunde.“

Der Pazifismus der Dreißigerjahre habe Auschwitz erst möglich gemacht, hatte der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler 1983 im Bundestag in Richtung Joschka Fischer gerufen. 16 Jahre und eine Regierungsbeteiligung später war es der grüne Außenminister selbst, der dieses Motiv gegen seine eigene Partei richtete: Die „humanitäre Intervention“ der Nato, wie der Kosovo-Krieg damals hieß, war plötzlich gelebter Antifaschismus. Und die Gegner schienen wie Verbündete eines Massenmörders. Sie interessiere sich nicht dafür, „welche Paragrafen“ der völkerrechtswidrige Krieg der Nato verletze, rief eine Abgeordnete in die Halle. Sie interessiere sich nur dafür, „ob wir Menschen vor Vertreibung und Ermordung schützen können“. Die Gegner schimpften über den „moralischen Overkill“ von Fischer und seinen Getreuen, am Ende verloren sie die Abstimmung auf dem Parteitag.

Die Grünen, so hieß es damals, führten die Debatte „stellvertretend für die Gesellschaft“, die ebenso zerrissen war zwischen dem Dogma der militärischen Zurückhaltung und der wachsenden Einsicht, dass man Menschenrechte nicht nur mit Worten verteidigen kann. 1999 bewiesen die Grünen, dass sie bereit waren, Kriege zu führen. Als es drei Jahre später um den Irakkrieg ging, bewiesen sie, dass sie nicht bereit waren, jeden Krieg zu führen. „Die Art und Weise, wie gehadert, sich aufgerieben (…) wurde, verdeutlicht einen Wesenskern der Grünen“, schrieb Annalena Baerbock später in ihrer Autobiografie. „Er ist einer der Gründe, weswegen ich Mitglied dieser Partei geworden bin.“