Thierry Meyssan: die imperialistische Gerechtigkeit zerfällt

» Die internationale Strafjustiz darf nicht diejenigen bestrafen, die zur Verteidigung ihrer Heimat töten müssen, sondern diejenigen, die künstlich Konflikte schaffen und diejenigen, die ohne Grund töten. Das ist absolut nicht das gleiche. «

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Sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten geschieht die westliche Herrschaft über den Rest der Welt, ebenso wie die der Vereinigten Staaten über ihre Verbündeten, durch die Instrumentierung des Rechts. Daher versuchen die internationalen Gerichtshöfe nicht, Gerechtigkeit zu sprechen, sondern die Ordnung der Welt zu bestätigen und diejenigen zu bestrafen, die sie anfechten. Das US-Recht und das europäische Recht dienen auch dazu den Rest der Welt zu zwingen, die Politik Washingtons und Brüssels zu respektieren. Dieses System beginnt nun zu verblassen.

Seit der Auflösung der Sowjetunion haben die Westmächte internationale Gerichte und die US-Justiz benutzt, um ihr Recht durchzusetzen. Sie lassen diejenigen verurteilen, die sie bekämpfen, und stellen niemals ihre eigenen Verbrecher vor Gericht. Diese Auffassung von Gerechtigkeit ist zum absoluten Beispiel ihrer Politik der Doppelmoral geworden. Die Schwächung der westlichen Dominanz seit dem Sieg Russlands in Syrien und noch mehr seit dem Krieg in der Ukraine beginnt jedoch Auswirkungen auf dieses System zu haben.

Das Ende der westlichen Vorherrschaft begann 2016

Am 5. Mai 2016 verkündete Präsident Wladimir Putin den Sieg der Zivilisation über die Barbarei, das heißt den Sieg von Syrien und Russland über die vom Westen bewaffneten und unterstützten Dschihadisten. Er organisierte ein im Fernsehen übertragenes Symphoniekonzert in den Ruinen von Palmyra, der antiken Stadt, in der Königin Zenobia alle Religionen in Harmonie koexistieren ließ. Symbolisch trug dieses Konzert des Mariinski-Orchesters von St. Petersburg den Titel: „Gebet für den Frieden“. Putin sprach per Videokonferenz.

Die westlichen Völker haben nicht verstanden, was damals geschah, weil sie sich nicht bewusst waren, dass die Dschihadisten nur Marionetten ihrer eigenen Geheimdienste waren. In ihren Augen und besonders seit den Anschlägen vom 11. September waren die Marionetten ihre Feinde. Sie verstanden nicht, dass die von Dschihadisten verursachten Schäden bei ihnen zu Hause mit jenen in der restlichen Welt überhaupt nicht vergleichbar waren. Zum Beispiel töteten die Anschläge vom 11. September 2011 – entgegen aller Logik den Dschihadisten zugeschrieben – 2.977 Menschen, während Daesch hunderttausenden Arabern und Afrikanern das Leben nahm.

Das Ende der Instrumentierung der internationalen Justiz

Der 2011 in Den Haag begonnene Prozess gegen einen vom Westen gestürzten afrikanischen Staatsmann veränderte sich nach dem Konzert in Palmyra. Erinnern wir uns an die Fakten: Im Jahr 2000 wurde Laurent Gbagbo zum Präsidenten der Elfenbeinküste gewählt. Der Mann war der Kandidat der Vereinigten Staaten. Zuerst errichtete er ein autoritäres Regime, das bestimmte ethnische Gruppen zum Nachteil anderer begünstigte. Dann merkt er, dass er nur dank seines Verbündeten reich wurde und beschließt, seinem Land zu dienen. Sofort organisieren die Vereinigten Staaten und Frankreich eine Rebellion gegen ihn, indem sie die Fehler anprangerten, zu denen sie ihn angefeuert hatten. Schließlich, nach der Intervention der Vereinten Nationen, stürzte die französische Armee 2011 Präsident Gbagbo und installierte als Präsident Alassane Ouattara, einen persönlichen Freund des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy. Der gestürzte Gbagbo wird verhaftet, um vom Internationalen Strafgerichtshof wegen „Völkermords“ vor Gericht gestellt zu werden. Dieser spürt jedoch, wie sich der Wind auf internationaler Ebene dreht, und es wird ihm nie gelingen, die Fakten zu ermitteln. Der IStGH spricht Laurent Gbagbo 2019 frei, und auch bei der Berufung im Jahr 2020. Seither sehen wir, wie die französische Präsenz in Afrika unaufhaltsam zurückgeht.

Der Internationale Strafgerichtshof war im Gegensatz zum Projekt seiner Gründer zu einem Herrschaftsinstrument geworden, das nur afrikanische Nationalisten verurteilte. Er hat nie die Verbrechen von US-Präsidenten, britischen Premierministern oder französischen Präsidenten untersucht. Sein voreingenommener Charakter im Dienste des Imperialismus zeigte sich, als sein Staatsanwalt Luis Moreno Ocampo fälschlicherweise vorgab, Saif al-Islam Gaddafi festzunehmen, um die Libyer davon abzuhalten, Widerstand gegen den illegalen Krieg der NATO zu leisten.

Der Beginn einer für alle gleichen internationalen Gerechtigkeit

Nun verabschiedete aber die Generalversammlung der Vereinten Nationen am 30. Dezember 2022 eine Resolution, in der der Internationale Gerichtshof, das interne Gericht der Vereinten Nationen, aufgefordert wird, die israelische Besetzung Palästinas zu beurteilen. Es handelt sich um eine spektakuläre Umkehrung der Mehrheit, da diese Besetzung seit… 75 Jahren andauert. Zweifellos wird der Gerichtshof Israel verurteilen und die 195 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zwingen, die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Die westlichen Staaten versuchen heute, ein neues Gericht einzurichten, da die bestehenden ihnen entgleiten. Ihre Befürworter beabsichtigen, „Wladimir Putin für russische Verbrechen in der Ukraine zu verurteilen“. Es geht also darum, die Verantwortung der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten François Hollande zu vertuschen, die doch beide die Minsker Vereinbarungen unterzeichnet hatten, ohne jemals die Absicht zu haben, sie umzusetzen und die dann 20 000 Ukrainer ermorden ließen. Es geht auch darum, zu leugnen, dass der russische Präsident Wladimir Putin aufgrund seiner Schutzverantwortung militärisch interveniert hat, um diese Abkommen durchzusetzen, die durch die Resolution 2202 des Sicherheitsrates bestätigt wurden.

Eine Militäroperation fordert immer Opfer. Oft zu Unrecht. Das ist die Natur der Kriege, die sie von Polizeiaktionen unterscheidet. Das Problem besteht nicht darin, diejenigen zu verurteilen, die Kriege führen, sondern den Rückgriff auf Krieg zu verhindern. Die internationale Strafjustiz darf nicht diejenigen bestrafen, die zur Verteidigung ihrer Heimat töten müssen, sondern diejenigen, die künstlich Konflikte schaffen und diejenigen, die ohne Grund töten. Das ist absolut nicht das gleiche.

Das Ende der Instrumentierung der westlichen Justiz

Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union haben eine Extraterritorialität ihrer lokalen Gesetze erfunden. In völligem Widerspruch zur Charta der Vereinten Nationen verletzen sie die Souveränität anderer Staaten im Namen ihres nationalen Rechts.

Seit 1942 haben die Vereinigten Staaten zahlreiche extraterritoriale Gesetze verabschiedet: Trading with the Enemy Act (1942), Foreign Corrupt Practices Act (1977), Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act (bekannt als Helms-Burton) (1996), Iran and Libya Sanctions Act (bekannt als Amato-Kennedy) (1996), USA PATRIOT Act (2001), Public Company Accounting Reform and Investor Protection Act (bekannt als Sarbanes-Oxley oder SarbOx) (2002), Foreign Account Tax Compliance Act (FACTA) (2010), CLOUD Act (2018).

Dieses System verbindet dauerhaft die US-Justiz und die US-Geheimdienste. Laut der DGSI (französische Spionageabwehr): „Extraterritorialität führt zu einer Vielzahl von Gesetzen und rechtlichen Mechanismen, die den US-Behörden die Möglichkeit geben, ausländische Unternehmen ihren Standards zu unterwerfen, aber auch ihr Know-how zu erfassen, die Entwicklungsbemühungen von Konkurrenten von US-Unternehmen zu behindern, störende oder begehrte ausländische Unternehmen zu kontrollieren oder zu überwachen, und dabei signifikante finanzielle Erträge zu generieren“ [1]».

Dieses System hält ausländische Unternehmen, die in den USA arbeiten oder US-Dollar verwenden, davon ab, gegen Washingtons Politik zu verstoßen. Darüber hinaus legalisiert es den Wirtschaftskrieg, der fälschlicherweise als „Sanktionen“ bezeichnet wird, während diese Bestimmungen gegen die Charta der Vereinten Nationen verstoßen, weil sie vom Sicherheitsrat nicht validiert werden. Dieses System ist stark genug, um zum Beispiel einen Staat völlig zu isolieren und seine Bevölkerung auszuhungern, wie es im Irak mit Bill Clinton der Fall war, und wie es jetzt in Syrien mit Joe Biden der Fall ist.

Nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten verabschiedet die Europäische Union schrittweise ihre eigenen extraterritorialen Gesetze. Im Jahr 2014 befand der Gerichtshof der Europäischen Union (bekannt als der Gerichtshof von Luxemburg) die Muttergesellschaft einer spanischen Suchmaschine der Verletzung europäischer Gesetze durch das europäische Tochterunternehmen für schuldig. (Rs. C-131/12).

Auch dieses westliche Modell ist nun im Begriff zu zerfallen. Der Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen den Iran geführt hat, anlässlich der westlichen Aggression in Syrien durch Dschihadisten, und gegen Russland anlässlich der Umsetzung der Resolution 2202 durch Moskau, ist zu umfangreich, um angewendet zu werden.

Öltanker zögern nicht mehr, iranisches oder russisches Öl per Umschlag auf See zu laden. Jeder weiß das, tut aber so, als würde er es ignorieren. Wenn das Pentagon auch nicht zögert, Schiffe vor Syrien zu versenken, wagt es das jedoch an der Küste der Europäischen Union nicht, nachdem es die Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sabotiert hat. Diesmal sind die Täter nicht mehr „Feinde“, sondern „Verbündete“. Diese Wirtschaftskriege sind im Westen erst dann unpopulär, wenn er selbst anfängt, den exorbitanten Preis zu zahlen.

Thierry Meyssan


Kommentare

Eine Antwort zu „Thierry Meyssan: die imperialistische Gerechtigkeit zerfällt“

  1. Eine BESCHeidene Frage:
    Wann werden die Deutschen kapieren, daß ihre wahren Feinde
    die „amerikanischen Freunde“ sind ?

    Sonnenklar und simpel: „NIEMALS WIEDER“

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