Der Ukrainekonflikt und seine politischen Folgen aus russischer Perspektive
In jedem Krieg ist eines der ersten Opfer bekanntlich „die Wahrheit“, weswegen es bedeutsam ist, dann genauer hinzuhören, wenn beide Konfliktparteien dasselbe sagen. Just so etwas ist in diesen Tagen geschehen, wie übereinstimmende Äußerungen hochrangiger Vertreter der russischen wie ukrainischen Regierung nahelegen: die Ukraine sei „de facto NATO-Mitglied“, wie Verteidigungsminister Reznikov in einem Fernsehinterview sagte, und dass sich Russland im Kampf mit „dem kollektiven Westen“ sieht, hat der Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates Patruschew kürzlich erneut betont. Über die voraussichtlichen politischen Konsequenzen des Ukrainekonflikts.
In einem gestern, am 10. Jän. 2023, veröffentlichten Interview mit Argumenty i fakty ließ Nikolaj Patruschew, seines Zeichens Vorsitzender des russischen Sicherheitsrates, mit einer Reihe interessanter Aussagen aufhorchen, an deren Beginn die Feststellung der aktuellen Lage als „äußerst kompliziert und turbulent“ steht: „Viele Länder in verschiedenen Regionen der Welt befinden sich gleichzeitig in einer militärisch-politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Krise. Hoffentlich wird es dieses Jahr einige positive Veränderungen geben.“
Kursive Hervorhebungen finden sich im Original, fette Hervorhebungen sind durch mich hinzugefügt; einige abrundende Ausführungen finden Sie am Ende des langen Interviews.
Westliche Politik von Großkonzernen dominiert
Auf die Politiker der westlichen Länder bezogen führte Patruschew aus, dass diese nichts tun, um die Situation zu verbessern, nicht nur in der Welt, sondern sogar in ihren eigenen Ländern:
Westliche Politiker haben keine Macht und keine Möglichkeiten, das Leben in ihren Staaten zum Besseren zu verändern, weil sie schon lange keine unabhängigen Persönlichkeiten mehr sind. Alle haben Verbindungen zum Großkapital, Lobbyisten und Stiftungen im Rücken. Sie verschweigen diese Tatsachen nicht einmal. Es gibt sehr aktuelle Beispiele. Wie sich herausstellte, erschienen Dutzende von Abgeordneten des Europäischen Parlaments unter der Kontrolle der Strukturen von G[eorge] Soros und der EU-Kommission im Auftrag eines der größten Pharmakonzerne der Welt, der eine Reihe von korrupten Schemata für den Kauf von Impfstoffen für Dutzende von Milliarden Euro geschaffen hat. Es ist offensichtlich, dass die wahre Macht im Westen in den Händen findiger Clans und multinationaler Konzerne liegt.
Meinen Sie nicht die Rockefellers und Rothschilds?
Patruschew: In der Tat gibt es noch viele weitere solcher Unternehmen und Clans. So wird nach inoffiziellen Angaben der Gesamtumsatz der 500 größten Unternehmen der Welt im Jahr 2021 fast 38 Billionen Dollar erreichen. Der Großteil der multinationalen Unternehmen hat seinen Hauptsitz in den USA. Ihr Gewinn beliefen sich auf rund 16 Billionen Dollar, der Nettogewinn auf 1,8 Billionen Dollar.
Das Vermögen einiger multinationaler Unternehmen übersteigt das Bruttoinlandsprodukt der meisten Volkswirtschaften der Welt, und die Fonds, die sie geschaffen haben, um sich weiter zu bereichern, erheben den Anspruch, ein supranationaler Mechanismus zur Steuerung der Menschheit zu sein. Dieselbe Soros-Stiftung ist fast zum weltweit wichtigsten Zentrum für die Planung und Durchführung von „Farbrevolutionen“ geworden.
Spätkapitalismus-Kritik aus Russland
Unter der Zwischenüberschrift „Zwei Schauspieler in demselben Stück“ geht Patruschew genauer auf die eng verwobenen politischen und ökonomischen Verflechtungen ein, die „den Westen“ und insbesondere die USA charakterisieren:
Wollen Sie damit sagen, dass nicht einmal die US-Behörden eine autonome Politik verfolgen?
Patruschew: In Wirklichkeit ist der amerikanische Staat nur die Hülle für ein Konglomerat riesiger Konzerne, die das Land beherrschen und versuchen, die Welt zu dominieren. Für diese [transnationalen Konzerne] sind selbst US-Präsidenten nur Statisten, die man wie Trump ausschalten kann. Alle vier Attentate auf amerikanische Staatsoberhäupter sind mit dem Weg der Unternehmen verbunden. Es ist kein Zufall, dass eine wachsende Zahl von Amerikanern erklärt, dass Republikaner und Demokraten nur zwei Akteure in ein und demselben Stück sind, das nichts mit Demokratie zu tun hat.
Die amerikanische Regierung, die mit dem Großkapital verbündet ist, dient den Interessen der multinationalen Konzerne, einschließlich des militärisch-industriellen Komplexes. Die aggressive Außenpolitik des Weißen Hauses, die ungezügelte Aggressivität der NATO, das Entstehen des Militärblocks AUKUS [ein US-geführtes „Abkommen“ zwischen Amerika, Australien und Großbritannien] und andere sind ebenfalls die Folge des Einflusses von Unternehmen [da es v.a. darum ging, französische Werften für U-Boot-Lieferungen an Canberra auszustechen; nun kommen eben US-Anbieter zum Zug]. Der Entwurf des amerikanischen Haushaltsplans für 2023 ist der beste Beweis für die Pläne Washingtons, neue Kriege zum Nachteil des Wohlergehens der eigenen Bürger zu entfesseln. Die Hälfte der 1,7 Billionen Dollar der geplanten Ausgaben der Bundesregierung ist für die Verteidigung vorgesehen – mehr als 850 Milliarden Dollar. Allein für die Fortsetzung der Feindseligkeiten in der Ukraine und die Verlängerung des Konflikts sind fünfundvierzig Milliarden vorgesehen.
Um diese Zahlen zu kontextualisieren: gemäß Angaben der Statistik Austria betrug das Bruttoinlandsprodukt – dessen Berechnung und Umfang man ebenso wie alle anderen offiziellen Daten mit Vorsicht genießen sollte – knapp mehr als 400 Mrd. Euro, was in etwa knapp weniger als der Hälfte der direkt an das Pentagon fließenden jährlichen Aufwendungen der US-Regierung betrifft. Der tatsächliche US-Militäretat ist in jedem Fall höher als die offiziellen Zahlen ausweisen, da etwa die Aufwendungen für die amerikanischen Atomwaffen nicht im „Verteidigungsbudget“, sondern unter dem Energieministerium (Dept. of Energy) verbucht werden.
Österreichs Bruttoinlandsprodukt ist übrigens etwa doppelt so hoch wie das der Ukraine (2021), d.h. die Subsidienzahlungen der USA an Kiew – die 2022 rund 100 Mrd. Dollar betrugen – machen rund die Hälfte der ukrainischen Vorkriegswirtschaftsleistung aus. Gemäß offiziellen, wenn auch vorläufigen Angaben beträgt der Einbruch der ukrainischen Wirtschaftsleistung 2022 rund 30%, was gleichbedeutend mit einem noch höheren relativen Wert der internationalen Finanzmittel ist.
Zur Realität der internationalen Lage
Und das obwohl die USA selbst und ihre Untergebenen unwiderruflich in ein Schuldenloch rutschen. Die Amerikaner haben eine Staatsverschuldung von mehr als einunddreißig Billionen Dollar [denen eine Wirtschaftsleistung von offiziell rund 18 Billionen Dollar gegenübersteht]. Die Verschuldung Großbritanniens ist mit 2,4 Billionen Pfund die höchste seit dem Zweiten Weltkrieg und hat 101% des Bruttoinlandsprodukts überschritten. Japan hat mit einer Staatsverschuldung von fast zehn Billionen Dollar einen Weltrekord im Verhältnis zwischen Schulden und BIP aufgestellt, der mehr als das 2,6-fache beträgt. Nur: die Länder, die sich für die Herren der Welt halten, werden diese Schulden nicht bezahlen.
Der Westen kam früher zu Wohlstand und erlangte die Weltherrschaft durch koloniale Eroberungen. So verhalten sich heute die multinationalen Unternehmen, die es vorziehen, ihr Kapital zu vermehren, indem sie Ressourcen aus anderen Ländern abschöpfen. Dabei nutzen sie ihr eigenes System der Gehirnwäsche der Massen, um der Weltbevölkerung die Idee einiger Regeln aufzuzwingen, die sie selbst erfunden haben und die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht stehen.
Sie glauben also wirklich, dass transnationale Konzerne einen großen Einfluss auf lokale politische und sozioökonomische Prozesse haben, wenn sie in der ganzen Welt tätig sind?
Patruschew: Richtig. Einerseits führen sie durch ausländische Direktinvestitionen neue Technologien ein und steigern die Produktivität. Nur die Bevölkerung kann von diesen Ergebnissen nicht profitieren, weil die Unternehmen die lokalen Produzenten dauerhaft verdrängen und zu Monopolisten werden. Indem sie den Großteil ihrer Gewinne ins Ausland exportieren, berauben sie die Länder der Möglichkeit, ihren nationalen Wohlstand zu steigern.
Diesen Ausführungen ist lediglich hinzuzufügen, dass die „ins Ausland exportierten“ Gewinne dann aber nicht ordentlich versteuert werden, sondern in Steueroasen „geparkt“ werden. Ohne eine entsprechende Besteuerung dieser Unternehmensgewinnen durch die im Dienste des internationalen Groß- und Monopolkapitals stehende Politiker- und Medienkaste wird sich an diesen Machtverhältnissen auch nichts ändern.
Patruschew: Eine nationale gesetzliche Regelung reicht nicht aus, um dieses Problem zu lösen. Die derzeitige internationale rechtliche Regulierung der wirtschaftlichen Aktivitäten von transnationalen Konzernen erfolgt im Interesse der Konzerne selbst und unter deren direkter Beteiligung. Der Wandel zugunsten der nationalen Interessen wird torpediert.
In einer sich grundlegend verändernden Welt ist es das Ziel der Konzerne, ein System der globalen Ausbeutung aufrechtzuerhalten. An ihrer Spitze steht eine Elite von Geschäftsleuten, die sich keinem Staat zugehörig fühlt. Darunter befinden sich die so genannten entwickelten Nationen der Welt sowie die „goldene Milliarde“. Und dann gibt es noch den Rest der Menschheit, der verächtlich als „Dritte Welt“ bezeichnet wird.
Nach dieser Logik hat Russland offenbar nicht den beneidenswertesten Platz in dieser Hierarchie.
Für unser Land gibt es im Westen keinen Platz. Russland irritiert eine Reihe von Weltmächten, weil es über reiche Ressourcen, ein riesiges Territorium, intelligente und autarke Menschen verfügt, die ihr Land, seine Traditionen und seine Geschichte lieben.
Die transnationalen Konzerne sind nervös aufgrund der Weltanschauung Russlands und der ideologischen Divergenz zu den vom westlichen Kapital kontrollierten Ländern. Die Konzerne streben nach Bereicherung und der Entwicklung einer Konsumgesellschaft. Russland hingegen verteidigt ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen geistigen und moralischen Werten und sozioökonomischer Entwicklung. In diesem Zusammenhang streben die Westler danach, unser Land zu schwächen, es zu zerstückeln, die russische Sprache und die russische Welt zu vernichten. Sie beherrschen seit langem die Technik, ihre Konkurrenten von innen heraus zu untergraben und sie in Kleinstaaten zu zersplittern. So haben sie schon früher gehandelt, als London zum Beispiel am Ende des Ersten Weltkriegs die Imperien [der Romanow, Habsburger, Hohenzollern und Osmanen] zerschlagen und Dutzende von Ländern aus ihnen herausgedrängt hat. So wird es auch heute gehandhabt. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Jugoslawien. Der Staat, der auf der internationalen Bühne eine unabhängige Stimme hatte, ist in sechs Bereiche aufgeteilt.
Zur historischen Bedeutung der Sowjetunion
Ende Dezember wurde der 100. Jahrestag der Gründung der UdSSR begangen. Welche Auswirkungen hatte Ihrer Meinung nach der Zusammenbruch der Union im Jahr 1991 auf die Politik der USA und ihrer Verbündeten?
Patruschew: Das hat sie ermutigt. In der ehemaligen Sowjetunion sind fünfzehn neue Völkerrechtssubjekte entstanden. Mit Ausnahme der Russischen Föderation, die ihr jahrhundertealtes internationales Ansehen bewahrt hat, ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates ist und eine entscheidende Rolle in der Welt spielt, indem sie ihre nationalen Interessen verteidigt, kann sicherlich keine von ihnen an Einfluss mit der UdSSR mithalten. Es bleibt also in den Plänen des Westens, Russland weiter zu zerreißen und schließlich einfach von der politischen Landkarte der Welt zu tilgen. Heute schreien sie immer noch lauthals, dass Russland nicht geeint bleiben darf, sondern in den Rahmen des Großfürstentums Moskau des 15. Jahrhunderts zurückgestuft werden soll. Um dies zu erreichen, zögern sie nicht, alles zu tun, einschließlich der Erfindung einer völlig falschen Geschichte unseres Landes, indem sie ihm die Verantwortung für die Unterdrückung anderer Völker zuschieben, was Russland nie getan hat.
Wiewohl ich als Historiker nicht umhin komme, an dieser Stelle auf die fachlich nicht unproblematischen kategorischen Aussagen Patruschews hinzuweisen – „was Russland nie getan hat“ – ist in etwa so korrekt wie die Aussage, dass die USA Frieden, Wohlstand und Demokratie bringen. Im direkten Vergleich mit den US-Interventionen, die sich alleine seit 1991 gemäß einem Anfang 2022 veröffentlichten Berichts des Congressional Research Service (etwa: wissenschaftlicher Dienst des US-Kongresses) auf die stolze Anzahl von 251 militärische Einsätze weltweit belaufen, sei an dieser Stelle gleichsam en passant hingewiesen.
NATO vs. Russland – auf Kosten der Ukraine
Patruschew: Die gesamte Geschichte der Ukraine wurde in Washington entworfen, um die Technik der Teilung und des Gegeneinanderausspielens eines einzigen Volkes auszuarbeiten. Millionen von Menschen ist es verboten, ihre russische Muttersprache zu sprechen, was sie zwingt, ihre Herkunft zu vergessen. Der Westen zerstört für seine Ambitionen praktisch das ukrainische Volk, zwingt die aktive Generation zum Sterben auf dem Schlachtfeld und treibt den Rest der Bevölkerung in die Armut.
Bei den Ereignissen in der Ukraine handelt es sich nicht um einen Zusammenstoß zwischen Moskau und Kiew, sondern um eine militärische Konfrontation zwischen der NATO, vor allem den USA und Großbritannien, und Russland. Aus Angst vor direktem Kontakt treiben die NATO-Ausbilder ukrainische Jugendliche in den sicheren Tod. Mit seiner Speziellen Militäroperation befreit Russland seine Regionen von der Besatzung und muss dem blutigen Versuch des Westens, das brüderliche ukrainisch[-russisch]e Volk zu vernichten, ein Ende setzen.
Aber in der Welt wird Russland im Gegenteil beschuldigt, ukrainisches Territorium zu erobern und die ukrainische Infrastruktur anzugreifen…
Patruschew: Wir befinden uns nicht im Krieg mit der Ukraine, denn per Definition können wir die einfachen Ukrainer nicht hassen. Die ukrainischen Traditionen stehen den Menschen in Russland nahe, so wie das Erbe des russischen Volkes untrennbar mit der Kultur der Ukrainer verbunden ist. Bitte beachten Sie, dass die ukrainische Sprache als eine der Staatssprachen auf der Krim erhalten bleibt. In vielen Städten gibt es weiterhin ukrainische Kulturzentren und ukrainische Gesangs- und Tanzgruppen. Im Süden des Fernen Ostens betrachtet eine große Zahl von Bewohnern angesichts des hohen Anteils von Einwanderern seit der Stolypin-Ära die Kultur des ukrainischen Volkes als einheimisch.
Und je eher die Bürger der Ukraine begreifen, dass der Westen durch ihre Hand im Krieg mit Russland ist, desto mehr Menschenleben werden gerettet. Viele sind sich dessen längst bewusst, scheuen sich aber aus Angst vor Repressalien, es zu sagen. Es liegt nicht in den Plänen des Westens, das Leben von Menschen auf Kosten der eigenen Bereicherung und anderer Ambitionen zu retten. Gleichzeitig geben sich Amerikaner, Briten und andere Europäer oft der Illusion hin, sie würden die Zivilisation vor der Barbarei schützen.
Spielen Sie auf die Ereignisse in Afghanistan an, wo die USA dem Terrorismus den Krieg erklärten und sich dann ziemlich schmachvoll zurückzogen?
Patruschew: Nicht nur in Afghanistan, sondern auch in anderen Regionen. Sie haben selbst terroristische Organisationen wie al-Qaida, die Taliban-Bewegung oder ISIS gegründet, um ihre Ziele zu erreichen, und sie dann mit ihren eigenen Händen bekämpft. Durch die Inszenierung der Beseitigung von Terroristenführern wie Osama bin Laden, die Ausbildung und Bewaffnung von hundert neuen Terroristen.
Die US-Präsenz in Afghanistan hat sich nicht als Kampf gegen den Terrorismus erwiesen, sondern zur Schaffung von millionenschweren Korruptionssystemen und zu einer Vervielfachung der Drogenproduktion geführt. Der plötzliche Rückzug der Amerikaner aus diesem Land hatte, wie sich herausstellte, viel damit zu tun, dass sie sich auf die Ukraine konzentrierten, wo nach ihrer Einschätzung die Vorbereitung des Kiewer Marionettenregimes auf offensive antirussische Aktionen erfolgreich verlief. Dies wurde übrigens auch von US-Außenminister Blinken bestätigt, der sagte, wenn das US-Militär Afghanistan nicht verlassen hätte, wäre Washington nicht in der Lage gewesen, so viel Geld für die Ukraine bereitzustellen. Darüber hinaus wurde ein Teil der von afghanischem Boden abgezogenen Ausrüstung nach Europa, vor allem nach Polen, verbracht, wodurch die Europäer die Möglichkeit hatten, das Kiewer Regime zu militarisieren.
Am 24. Februar letzten Jahres nannte Russland als Ziele der Speziellen Militäroperation genau die „Entmilitarisierung“ und „Entnazifizierung“ der Ukraine. Sind Sie immer noch zuversichtlich, dass diese Ziele erreicht werden können?
Patruschew: Die neonazistischen Verbrecher, die in den letzten Jahren in der Ukraine gewütet haben, werden unweigerlich bestraft werden. Es ist jedoch möglich, dass die abscheulichsten von ihren Handlangern gerettet werden, um in anderen Ländern eingesetzt zu werden, unter anderem für die Organisation von Staatsstreichen und subversiven Aufgaben.
Ein solcher Plan wurde während der Niederlage von Nazi-Deutschland ausgearbeitet. Nach 1945 berichteten die Amerikaner, die Briten und die von ihnen kontrollierten westdeutschen Behörden über die Entnazifizierung ihrer Besatzungszone in Deutschland, wobei die vor Strafe bewahrten Nazis für den Aufbau der deutschen Streitkräfte und des amerikanischen und britischen Geheimdienstnetzes verwendet wurden, auch für verdeckte Operationen gegen Länder des sozialistischen Lagers.
Die CIA, die bis 1948 den Namen U.S. Office of Strategic Services trug, nutzte in großem Umfang ehemalige Mitarbeiter der Abwehr und des Reichssicherheitshauptamtes, um neue deutsche Nachrichtendienste aufzubauen.
In den Nachkriegsjahren beteiligten die Amerikaner die Nazi-Verbrecher aktiv an der Entwicklung neuer Waffen, einschließlich Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme. Dasselbe gilt für den Einsatz japanischer Kriegsverbrecher durch die Amerikaner, die chemische und bakteriologische Waffen entwickelt und eingesetzt haben.
Über die aktuellen Trends im Westen: Regenbogenfahnen und Gentechnik
Kehren wir zum Thema des Einflusses der multinationalen Unternehmen auf die Politik der verschiedenen Länder zurück. Sie argumentieren, dass sie fast grenzenlos ist. Und was glauben Sie, welche Methoden die transnationalen Konzerne in ihrem Arsenal haben?
Patruschew: Diese Methoden sind die zynischsten. Einige von ihnen sind Experimente mit gefährlichen Krankheitserregern und Viren in militärisch-biologischen Labors, die vom Pentagon überwacht werden. Sie sind ohne Umschweife an der moralischen und sittlichen Korruption der Gesellschaft beteiligt. Der Westen hat die Zombifizierung der Menschen durch Massenpropaganda gemeistert und zielt nun darauf ab, kognitive Waffen einzusetzen und jeden Menschen mit Hilfe von Informationstechnologien und neuropsychologischen Methoden zu beeinflussen. Sie setzt neoliberale und andere Werte durch, von denen einige von Natur aus der menschlichen Natur widersprechen. Sie handeln bewusst und machen in ihren Kreisen keinen Hehl daraus, dass die LGBT-Agenda ein Instrument ist, um die Zahl der „überflüssigen Menschen“, die nicht in den Rahmen der berüchtigten „goldenen Milliarde“ passen, schrittweise zu reduzieren. Erst gestern wurden [gentechnisch veränderte Lebensmittel] beworben, ohne sich um die gesundheitlichen Folgen solcher Produkte zu kümmern, heute werden Frauen aufgefordert, keine Kinder zu bekommen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Die Wissenschaft in Übersee schlägt vor, die Menschen an der Menge des Kohlenstoffs zu messen [CO2-Steuern], den sie ausstoßen. Sie messen und zählen die Menschheit auf dieselbe Weise, wie Nazi-Wissenschaftler einst Schädel vermaßen, um Kriterien für die Unterscheidung zwischen „besseren“ und „schlechteren Rassen“ zu finden.
Sie zeichnen ein ziemlich düsteres Bild. Es ist, als stünde das Ende der Menschheit unmittelbar bevor…
Patruschew: Das Potenzial der Menschheit ist noch lange nicht ausgeschöpft. Es gibt Strukturen, die die Situation positiv beeinflussen können. UNO und UN-Sicherheitsrat. Organisationen wie [Shanhai Cooperation Organisation], BRICS [Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika], ASEAN [Association of Southeast Asian Nations] und andere gewinnen an Popularität. Der Westen ist jedoch nicht an ihrer Wirksamkeit interessiert. Die Angloamerikaner versuchen zwanghaft, die Weltgemeinschaft auf die Idee zu bringen, dass diese Institutionen ihre Nützlichkeit überlebt haben und dass es notwendig ist, nach den von ihnen erfundenen Regeln zu leben. Diejenigen, die mit ihrer Hegemonie nicht einverstanden sind, werden als „Schurkenstaaten“, „terroristische Staaten“ oder Staaten, die eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen, abgestempelt. Die westlichen Länder merken nicht, dass sie selbst allmählich in der Unterzahl sind, weil sie ihrer Strategie der Gewalt und der Drohungen in der Welt überdrüssig sind.
Die unzerstörbare Stärke Russlands liegt in unserem fleißigen Volk, dessen Vorteil unter anderem in seinen unterschiedlichen Lebensauffassungen, in seiner Multiethnizität und seinem Multikonfessionalismus liegt. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir eine einzigartige und unverwechselbare Kultur haben, dass Russland nicht Europa oder Asien ist, und schon gar nicht „antiwestlich“. Das ist übrigens unser grundlegender Unterschied. Für einen Russen kann Hass per Definition kein einigendes Element sein. Nur die Westler, die uns offen als Gegner bezeichnen, sind voller Hass. Aber sie sollten an ihre erfolglosen Militäroperationen in Vietnam, Afghanistan und anderen Ländern erinnert werden … Angesichts neuer militärischer Bedrohungen ist es für uns wichtig, über solche Streitkräfte und Sicherheitsdienste zu verfügen, dass die Gegner Russlands nicht einmal auf die Idee kommen, mit uns zu kämpfen.
2023: Entscheidungsjahr für die NATO
Eine knappe, Auszüge und Hintergründe präsentierende Darstellung finden Sie auch auf Thomas Röpers Homepage.
Es erscheint zudem wichtig, auf ein kürzlich publiziertes Interview des ukrainischen Verteidigungsministers Oleksei Reznikov hinzuweisen, über das Moon of Alabama und Sputnik berichtet haben (hier finden Sie „nur“ den Link zu der ersteren Homepage, da die EU über das Verlinken von Sputnik „not amused“ ist…):
So liegen, gemeinsam betrachtet, folgende Schlussfolgerungen nahe, über die ich kürzlich (am 29. Dez. 2022) auch im Kontrafunk gesprochen habe: ohne einen „Systemwechsel“ oder Regime Change – und zwar entweder in Moskau oder in Washington bzw. dessen europäischen Vasallen – ist kein Ende des Konflikts zwischen Russland und „dem Westen“ in Sicht. Ich habe übrigens darauf hingewiesen, dass nicht klar ist, dass die westlichen Regierungen fester im Sattel sitzen als deren russischer Gegner.
Daher liegt es nahe, dass 2023 das Jahr sein wird, in dem sich das Schicksal der NATO – und damit auch der transatlantischen Militär- und Sicherheitsarchitektur wohl entscheiden wird. Und zwar auf den Schlachtfeldern der Ukraine.
Kollateralschäden sind vorprogrammiert.
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