Gibt es Risse im chinesisch-russischen Verhältnis ?

Die chinesische Reaktion auf den ukrainischen Angriff auf Kursk zeigt einen möglichen Riss im chinesisch-russischen Verhältnis, auf die ein lesenswerter russischer Artikel hingewiesen hat.

Offiziell sprechen Moskau und Peking davon, dass ihre Beziehungen ein nie dagewesenes Niveau erreicht hätten. Und das stimmt sicherlich auch, aber man darf nie den ausgesprochen wichtigen Satz des großen Egon Bahr vergessen, den er 2013 in einer Rede vor Schülern in Heidelberg gesagt hat:

„In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“

Das gilt auch für Russland und China, denn auch diese beiden Staaten haben Interessen, die nicht immer identisch sind. Das kann man im Nahen Osten sehen, wo beide Länder um Einfluss buhlen, allerdings aus unterschiedlichen Motiven: Russland will eine enge Zusammenarbeit mit den arabischen Ölförderländern, um den Ölpreis möglichst stabil und auf einem nicht zu niedrigem Niveau zu halten. China will einen niedrigen Ölpreis und sichere Öllieferanten. Daher gibt es im Nahen Osten durchaus eine Konkurrenz zwischen Russland und China. Einig sind sich beide Länder nur darin, dass die USA die Region verlassen sollten, aber danach hört die Einigkeit wohl auch schon auf.

Ich arbeite derzeit an einer Recherche über Afrika, wo Russland und China ebenfalls das gemeinsame Interesse haben, den Westen aus der Region zu verdrängen, aber danach hört die Einigkeit auch dort wieder auf. China will billige und zuverlässige Rohstofflieferungen aus Afrika, Russland will den Afrikanern mit seiner Erfahrung beim Abbau der Rohstoffe helfen, also haben Russland und China auch hier wieder unterschiedliche Interessen, der eine aus der Sicht des Käufers und der andere aus Sicht des Verkäufers.

Russland und China wurden von den USA, die beide Länder zu Feinden erklärt haben und mit Sanktionen anderen Methoden bekämpfen, regelrecht in ihre heute so engen Beziehungen gezwungen. Aber das bedeutet nicht, dass sie „Freunde“ sind, weil es in der Geopolitik – siehe Egon Bahr – immer nur „um die Interessen von Staaten“ geht.

In Russland ist ein sehr interessanter Artikel erschienen, der aufzeigt, wie die unterschiedlichen Interessen zwischen Moskau und Peking sich im Ukraine-Konflikt zeigen. Das ist natürlich nicht das, was das offizielle Moskau und Peking verkünden. Daher habe ich, um zu zeigen, wie breit das Meinungsspektrum in Russland ist, diesen Artikel übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

IN KURSK HAT EINE „SICHERUNGSOPERATION“ DES AMERIKANISCEHN RÜCKZUGS AUS DER UKRAINE BEGONNEN: CHINAS SCHLAUES SPIEL

Das Selensky-Regime hat es Russland mit seinem Angriff auf die Region Kursk ermöglicht, sich von seinen Verbündeten nicht zu einem… schmutzigen Frieden mit der Ukraine zwingen zu lassen, der uns nicht passt. Allein der Donbass und der Landkorridor zur Krim, dem Moskau fast zugestimmt, aber wegen Kursk wieder abgelehnt hat, lösen das ukrainische Problem überhaupt nicht. Und unsere Freunde unter der Führung Chinas, das seine eigenen Beziehungen zu Kiew und seine eigenen Ansichten zur Ukraine hat, haben uns nichts weiter angeboten. Höchstwahrscheinlich nicht einmal, dass wir nur die Gebiete behalten, die wir jetzt kontrollieren. Es ist dumm, einem Pyrrhussieg zuzustimmen, um es den Chinesen, die Russland sehr brauchen, bequemer zu machen, mit dem Westen weiter Handel zu treiben, solange es noch geht. Die Deswegen ist die Antwort auf die Frage, wer Kiew ermutigt hat, sich auf das Abenteuer Kursk einzulassen und den Einsatz zu erhöhen, um das, was wir ihnen genommen haben, gegen das einzutauschen, was sie uns genommen haben, nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint.

Eingangsfrage: Wie hat unser wichtigster strategischer Verbündeter China auf die Ausweitung der Front im Krieg mit Russland durch die Ukraine in die Region Kursk, die Tötung von Zivilisten durch die ukrainischen Streitkräfte und ausländische Söldner sowie die Bedrohung der russischen Atomanlagen reagiert? Hat es das gebrandmarkt oder verurteilt? Schließlich hat Peking die Konfliktparteien ständig aufgefordert, das nicht zu tun! Nein, kein bisschen.

Das chinesische Außenministerium reagierte auf die eindringlichen Bitten von Journalisten erst sehr spät mit einer Erklärung, in der es lediglich „die gegenwärtige Situation zur Kenntnis nimmt“. Ein Schuldiger wurde nicht benannt, obwohl die Ukraine Pekings „konsequente und klare“ Position in dieser Frage grob und unverhohlen mit Füßen getreten hat.

Hier ist die chinesische Erklärung:

„Wir rufen alle Seiten auf, die sogenannten drei Prinzipien zur Abkühlung der Lage zu respektieren, nämlich: Die Kampfhandlungen dürfen sich nicht nach außerhalb ausbreiten, eine Eskalation des bewaffneten Konflikts darf nicht zugelassen und eine Eskalation des Feuers darf nicht provoziert werden.“

Kiew hat auf all diese wunderbaren chinesischen Prinzipien gepfiffen, indem es den Krieg auf das international anerkannte Territorium Russlands ausgedehnt hat, mit dem China „mehr als nur ein Bündnis“ hat! Wo ist der edle chinesische Zorn? Ich wiederhole, es gibt keinen. Stattdessen gibt es eine zahnlose Passage in der Erklärung des Außenministeriums:

„China wird weiterhin eine konstruktive Rolle bei der Förderung einer politischen Lösung der Krise spielen.“

China tut sorgfältig so, als ob die Ukraine nicht auf die chinesischen Prinzipien zur Beilegung der Krise pfeift, an die sich Russland gehalten hat, während es de facto nur für die vollständige Befreiung des russischen Donbass kämpft, der sich vor zehn Jahren von der Ukraine abgespalten hat, und die starken Befestigungen der ukrainischen Streitkräfte auf dem von Kiew besetzten Gebiet frontal und mit viel Blutvergießen stürmt. Dazu gehört auch das Gebiet Donezk, das für die Verteidigung bestens vorbereitet wurde. Das tut Russland, anstatt die Kämpfe „nach außerhalb“ auszuweiten, um die Besatzer abzuschneiden und einzukesseln und sie zur Kapitulation oder zum Rückzug zu zwingen.

Xinhua steht über den Kämpfen

Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtet objektiv über die tragischen Ereignisse in der Region Kursk, ohne Partei zu ergreifen. Sie berichtet zum Beispiel über die von der TASS zitierte Erklärung Wladimir Putins zur Lage an der Grenze zur Ukraine vom 12. August. Darin wird der russische Präsident zitiert, der sagte, es sei „jetzt klar, warum das Kiewer Regime unsere Vorschläge zur Rückkehr zu einem Plan zur friedlichen Einigung abgelehnt hat“ und dass „der Gegner mit Hilfe seiner westlichen Herren … versucht, seine zukünftige Verhandlungsposition zu verbessern.“ Weiter zitiert Xinhua Putin:

„Aber über welche Art von Verhandlungen kann man überhaupt mit Leuten reden, die wahllos Zivilisten und zivile Infrastrukturen angreifen oder versuchen, Atomkraftwerke zu bedrohen. Worüber kann man mit denen sprechen?“

Doch am selben Tag berichtete dasselbe chinesische halbamtliche Blatt unter Berufung auf Interfax-Ukraine, dass „etwa 3.800 Menschen, darunter 175 Kinder“ aus der (an Kursk angrenzenden) Region Sumy evakuiert worden seien, weil die Russen das Gebiet massiv bombardieren (warum nur?) und täglich „40 bis 50 Fliegerbomben“ abwerfen. Böse, böse!

Zwei Reaktionen

Brasilien ist kein strategischer Verbündeter Russlands, es ist nur ein einfacher Verbündeter. Aber ein Mitglied der brasilianischen Führung, Marcelo Zero, erklärte in einem Artikel für Brasil 247 unverblümt, dass „die Ukraine und die NATO, wie alle früheren Interventen, einen hohen Preis für den Angriff auf russisches Territorium zahlen werden müssen“. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an Napoleon und Hitler und sah in den Aktionen Kiews „den Versuch, die westlichen Partner davon zu überzeugen, dass die Ukraine nicht zu Verhandlungen gezwungen werden sollte, sondern dass im Gegenteil mehr Hilfe geleistet werden sollte“.

So sieht eine normale, ehrliche Reaktion aus, die wir aus Peking noch nicht sehen. Von dort sehen wir etwas anderes – eine sich ausweitende Krise bei der Bezahlung von Waren, die wir dorthin liefern oder dort kaufen, verursacht durch sekundäre US-Sanktionen.

Es wäre noch verständlich, dass sich die größten chinesischen Banken, die Milliardengeschäfte mit den USA machen, diesen unterworfen haben. Aber es ist erstaunlich, dass zu ihnen eine wachsende Zahl mittlerer und kleiner Banken hinzukommt (und das in China, wo der Staat allmächtig ist!), deren Leben die USA kaum stören können. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass Peking verdeckt Druck auf Russland ausübt, den Krieg in der Ukraine zu beenden, ohne die Hauptziele der Militäroperation erreicht zu haben.

Warum lässt sich China an der Nase herumführen?

Chinas Friedensinitiativen und -pläne sehen das eigentlich vor. Sie laufen darauf hinaus, dass jede Seite des Konflikts bei dem bleibt, was sie kontrolliert (wundert es Sie, dass die ukrainischen Streitkräfte in die Region Kursk einmarschiert sind, die Russland aus dem Krieg herausgehalten hat?). Alles andere sind leere Worte. Die Ukraine ist und bleibt de facto Mitglied der NATO, auch wenn sie nicht de jure Mitglied ist. Alles, was Kiew theoretisch verspricht, ist wertlos. Was sich nach dem Ende der Militäroperation nicht Russland anschließt, wird endgültig Anti-Russland sein, ein Sprungbrett für den Kampf des Westens gegen Russland. Und keine „Garanten“ können etwas dagegen tun.

China ist sich dessen natürlich bewusst, aber es ist sehr daran interessiert, noch einige Zeit mit dem Westen Handel zu treiben und zusammenzuarbeiten, um mehr Industrieunternehmen aus Ländern wie Deutschland anzulocken, solange es noch geht. Und der heimtückische Westen flößt Peking ständig ein: Stoppt den Krieg, dann werden wir euch mehr respektieren, zeigt, dass ihr eine Weltmacht seid.

Peking hat auch seine eigenen Pläne für die Ukraine, nämlich die Überreste der bahnbrechenden sowjetischen Technologien aus Kiew herauszuholen, die Einfuhren von Agrarprodukten zu diversifizieren usw. Außerdem sind sich die Chinesen sicher darüber im Klaren, dass Russland ohne den größten Teil des ukrainischen Territoriums, vor allem in demografischer und wirtschaftlicher Hinsicht, nicht wirklich als Großmacht aufleben kann.

Und brauchen die Russland wirklich als Großmacht? Es ist viel besser, Russland als Nummer 2 zu halten, die keine Wahl hat, und sich das, was sie brauchen, billig zu besorgen.

Pekings Doppelmoral: Ein-China, aber nicht Ein-Russland

Ich sehe dieses Problem schon seit langem und habe gehofft, dass es sich irgendwie auflösen würde. Aber leider passiert das nicht; die Situation wird nur noch schlimmer. Hier ist ein Auszug aus meinem Text vom 10. Mai 2023:

„NATO-Stützpunkte an der Schwarzmeerküste und der faktische Beitritt zum antirussischen Militärbündnis. Biolabors mit tödlichen Viren. Der Wunsch, Atomwaffen zu erwerben. Scharfe antirussische Propaganda, Spionage, Terrorismus. Stimmen Sie zu: Ein Zehntel davon würde das Schicksal Taiwans ein für alle Mal entscheiden, wenn Taipeh auch nur versuchen würde, solche Aktionen zu starten. Und Russland würde China nur unterstützen, obwohl Moskau, als die Beziehungen zu China noch keinen Bündnischarakter hatten, erhebliche wirtschaftliche Vorteile aus der Zusammenarbeit mit Taiwan gezogen hat.
Doch als die Beziehungen zwischen Russland und dem separatistischen Staat der Russen – der Ukraine – in eine Sackgasse geraten sind, will China uns „versöhnen“, wohl wissend, dass das unmöglich ist, und faktisch den ukrainischen Separatismus aufrechterhalten und sich damit der Ein-Russland-Politik widersetzen.
Das ist genau die Situation, die bei Beobachtern kognitive Dissonanzen hervorruft. Warum ist die Unabhängigkeit Taiwans ein Grund für einen Krieg um die Insel und eine Rechtfertigung für ihren Anschluss an China, während die ebenso fiktive Unabhängigkeit der Ukraine und ihre Feindschaft zu Russland ein Grund für chinesische Friedeninitiativen ist?“

Ich frage mich, was die Chinesen von uns denken würden, wenn sie mehrere taiwanesische Inseln vor ihrer Küste besetzen würden, von denen eine relativ groß ist, aber Schwierigkeiten hätten, auf Taiwan selbst zu landen. Und die Russen würden sie – mit Unterstützung des Westens – mit Taipeh „versöhnen“ und sie dazu überreden, sich mit Kleinigkeiten zufrieden zu geben und sich für immer von Taiwan zu trennen. Und sie würden „objektiv“ über den Konflikt berichten und währenddessen mit materiellen Zuwendungen des Westens, einschließlich Taiwans, rechnen. Die Chinesen würden schlecht von uns denken!

Fassen wir zusammen

Ich stimme der Analyse der Situation um die Region Kursk durch den Telegram-Kanal „Der Professor schaut in die Welt“ (Профессор смотрит в мiръ) voll und ganz zu, dass der wichtigste strategische Grund für den „Kursker Durchbruch“, der nur dank des Heldentums unserer Soldaten nicht zum „Kursker Zusammenbruch“ wurde, folgender ist:

„Wir haben, eingelullt von den wortgewandten Friedensstiftern aus verschiedenen Teilen der Welt und unseren eigenen, den Moment verpasst, in dem der Westen von einem begrenzten Krieg mit uns in der Ukraine zu einem unbegrenzten Krieg überging, noch nicht total, aber schon unbegrenzt. Mit der vollständigen Aufhebung der geografischen Beschränkungen. Deshalb wollten wir den offensichtlichen Informationen nicht glauben. Welche Offensive? Die Friedensgespräche stehen doch vor der Tür. Alles ganz logisch und sehr westlich. Den Partner einlullen und dann zuschlagen. Wie viele solcher Wendungen haben wir in den letzten Jahren erlebt? Das Problem liegt nicht im Westen. Das Problem liegt bei uns. Wir haben uns wieder einmal sehr leicht täuschen lassen, wieder einmal.“

Stimmt alles, aber man kann noch etwas hinzufügen: Das Problem liegt auch bei unseren Verbündeten, nicht nur bei China. Ich spreche nicht einmal von den OVKS-Mitgliedern, mit denen ist alles klar. Aber wo ist eigentlich Weißrussland, das Mitglied des Unionsstaates? Will es auch kein großes Russland? Wenn ja, dann könnte es eines Tages das Russland verlieren, das es jetzt hat. Danach wird sein eigenes Schicksal von Polen und Co. innerhalb eines Monats im Rahmen einer „unfreundlichen Übernahme“ mit Umwandlung in eine arme Kolonie des Westens entschieden. Und die Weißrussen haben keine ukrainische Schwarzerde.

Was nun?

Ich weiß nicht, ob das hinter den Kulissen geschieht, aber Moskau sollte die Frage der Stärkung Unterstützung durch die Verbündeten öffentlich ansprechen, sie von unseren Verbündeten fordern, da es in der Ukraine nicht nur für sich selbst für die Freiheit vom westlichen Diktat kämpft.

Man sollte ihnen klarmachen, dass jeder, der sich heute weigert oder weniger tut, als er zu tun imstande ist, es morgen bereuen wird. Schließlich könnte Moskau genug davon bekommen, für andere zu kämpfen, die nicht nur uns helfen, sondern auch unserem Feind, hinter dem eine Menge Länder stehen.

Unsere Verbündeten, insbesondere China, sollten sich das gut überlegen. Denn wenn dieser Eindruck hier nicht zerstreut wird, wie wird Moskau dann auf einen möglichen Vorschlag des nächsten US-Präsidenten, wenn Donald Trump der nächste Präsident wird, reagieren, die von den USA vollkommen ausgenutzte Ukraine zu bekommen, aber dafür China den Rücken zu kehren?

Dass die USA die Ukraine verlassen werden, steht im gleichen Telegram-Kanal:

„Aber es gibt auch gute Nachrichten. Es ist klar, dass die aktuelle Eskalation der Beginn einer „Sicherungsoperation“ des amerikanischen Rückzugs aus dem Konflikt ist. Egal, wer 2025 Präsident ist. Daher das Ausmaß und, wenn Sie so wollen, die „Kühnheit“ des Plans, daher die Skepsis in den Medien, daher der Versuch, mit begrenztem Einsatz ein Höchstmaß an Tempo zu erreichen. Auch das ist sehr amerikanisch.“

Russland kann die Ukraine halbieren und Kiew in die Schranken weisen, auch wenn die Ukraine von 55 Ländern unterstützt wird. Das sollten nicht nur unsere Gegner, sondern auch unsere Verbündeten begreifen. Mit unseren vorübergehenden Schwächen zu spielen, um Russlands und ihren eigenen (!) Feinden zu gefallen, ist dumm und sinnlos. So kann man, auf der Jagd nach vorübergehenden Vorteilen und taktischen Erfolgen, einen großen Freund und dann sich selbst verlieren.

Ende der Übersetzung