Sie sind unter uns: Spione aus Russland und China haben Deutschland im Visier

Spione ausländischer Autokratien unterwandern systematisch die deutsche Gesellschaft und Politik

Spione sind nicht nur ein Fall für das Kino. In Deutschland spähen russische und chinesische Agenten Geheimnisse aus – und sie haben neue Freunde

Die Nachbarin hat die Schritte der Polizisten im Treppenhaus gehört. Auch das Licht draußen auf der Straße hat sie gesehen. Es war orange und drehte sich: die Warnleuchte eines Abschleppwagens. Ein leichter Wind wehte aus der Dresdner City herüber zur Plattenbausiedlung im Süden der Stadt, in der das sonst so ruhige Haus steht. Sechs Geschosse, zwölf Parteien. „Ein Spion in unserem Haus“, sagt die ältere Dame und schüttelt den Kopf. Unten an der Klingel steht der Name von Jian G. Ihn wollten die Einsatzkräfte Anfang vergangener Woche holen – sein Auto nahmen sie gleich mit, die Wohnung durchsuchten sie. Den Mann selbst stellten sie in seiner Zweitwohnung einen Kilometer weiter. Jian G. war, so glauben die Ermittler, nicht nur Vertrauter und Mitarbeiter des AfD-Spitzenpolitikers Maximilian Krah, sondern auch ein Agent der Volksrepublik China. Die Nachbarin aber hat einen bösen Verdacht: „Es geht gegen die AfD. Vielleicht suchen sie einfach nur einen Sündenbock.“

Die Verhaftung in Dresden fügt sich in eine lange Reihe. Die Agenten sind mitten unter uns. Und es sind viele. „Jeden Tag bewegen sich Tausende Akteure fremder Mächte in der Bundesrepublik“, sagt der Staatsrechtler Markus Ogorek, der zu Nachrichtendiensten forscht. Auch die in den vergangenen Wochen bekannt gewordenen Fälle zeigen, welchen Bedrohungen das liberale Europa ausgesetzt ist: „Russland ist der Sturm, China der Klimawandel“, warnt Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang seit dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022. Die Botschaft ist, dass die Abgesandten aus Moskau jederzeit Tod und Unheil bringen können, während die aus Peking zwar weniger rabiat vorgehen, aber in Jahrzehnten denken und letztlich noch gefährlicher sind. Hinzu kommt: Die Autokraten dieser Welt haben neue Freunde im Herzen der Demokratie – Leute wie den deutschen Staatsbürger Jian G., den mutmaßlichen Spion, der sich im Europäischen Parlament eingenistet hat.

Der Stern ist den Spuren der Geheimdienstler nachgegangen – denen im Internet wie denen im echten Leben: auf den Fluren des Europäischen Parlaments wie im ländlichen Bayern, wo neben einer heruntergekommenen Autowerkstatt eine russische Fahne weht, oder in einem Gerichtssaal in Berlin, wo ein angeklagter Ex-Referatsleiter des Bundesnachrichtendienstes erklären soll, woher die 400.000 Euro stammen, die in einem Schließfach gefunden wurden.