Der ukrainische Außenminister in China und die neue Rhetorik der ukrainischen Führung

(von Anti-Spiegel)

In letzter Zeit hört man aus Kiew neue Töne. Plötzlich ist von direkten Verhandlungen mit Russland die Rede und nun hat Moskau signalisiert, dass die neuen Kiewer Botschaften sich mit der russischen Position „decken“.

Im April 2022 waren Kiew und Moskau bei Verhandlungen in Istanbul einer Friedenslösung sehr nahe, aber dann Kiew – offensichtlich auf Druck des Westens – die Verhandlungen abgebrochen und verkündet, die Entscheidung müsse auf dem Schlachtfeld fallen. Am 30. September 2022 hat der (damals noch legitime) ukrainische Präsident Selensky Verhandlungen mit „Putins Russland“ sogar per Dekret verboten und unter Strafe gestellt.

Das war danach über zwei Jahre lang die offizielle Linie Kiews und des Westens. Aber in letzter Zeit hört man aus Kiew neue Töne und plötzlich redet Selensky davon, dass man Russland zum nächsten „Friedensgipfel“ einladen sollte. Wie das mit seinem Dekret vereinbar ist, in dem er direkte Gespräche mit „Putins Russland“ unter Strafe gestellt hat, bleibt allerdings bisher sein Geheimnis.

Bisher waren die neuen Erklärungen aus Kiew recht wolkig und die Reaktion aus Moskau war entsprechend zurückhaltend, weil man in Moskau nicht wusste, was genau und unter welchen Vorbedingungen die Ukraine auf dem nächsten „Friedensgipfel „eigentlich besprechen wollte.

Der ukrainische Außenminister in China

Die öffentlich bekannten Pressemeldungen haben daran bisher nichts geändert, aber anscheinend gibt es hinter den Kulissen Bewegung, wie die Reise des ukrainischen Außenministers Kuleba nach China zeigt. Nach dem Treffen erklärte der chinesische Außenminister:

„Die Ukraine will am Dialog und an Verhandlungen mit Russland teilnehmen und bereitet sich darauf vor.“

Nach Ansicht des ukrainischen Außenministers „sollten die Gespräche rational und substanziell sein, um einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen“, sagte der chinesische Außenminister weiter.

Kuleba erklärte, die Ukraine schätze Chinas aktive und konstruktive Rolle bei der Förderung des Friedens und der Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung sehr, was eine ausgesprochen unerwartete Äußerung war, denn bisher hat Kiew die chinesischen Ideen zum Ukraine-Konflikt alle abgelehnt. Und er sagte noch mehr Unerwartetes, denn er sagte auch, Kiew messe der Meinung Pekings große Bedeutung bei, die ukrainische Seite habe die Initiative Chinas und Brasiliens zur politischen Beilegung des Konflikts, die Kiew bisher immer rundweg abgelehnt hat, studiert.

Das ukrainische Außenministerium teilte mit, der ukrainische Außenminister Dmitri Kuleba habe dem chinesischen Außenminister Wang Yi mitgeteilt, dass Kiew zu einem geeigneten Zeitpunkt zu Gesprächen mit Moskau bereit sei:

„Dmitri Kuleba brachte die konsequente Position der Ukraine zu Ausdruck, die die Bereitschaft beinhaltet, den Verhandlungsprozess mit der russischen Seite in einer geeigneten Phase zu führen, wenn Russland bereit ist, in gutem Glauben zu verhandeln.“

Aber das ukrainische Außenministerium fügte hinzu, nach Ansicht des ukrainischen Außenministers „gibt es auf russischer Seite derzeit keine solche Bereitschaft“. Das ukrainische Außenministerium erklärte weiter, dass die Suche nach Wegen zur Lösung des Konflikts das Hauptthema der Gespräche mit Wang Yi gewesen sei, wobei Kuleba feststellte, dass es notwendig sei, den ukrainischen Konflikt zu beenden, „den Frieden wiederherzustellen und die Wiederherstellung des Staates zu beschleunigen“.

Diese offiziellen Meldungen unterscheiden sich nicht von dem, was in letzter Zeit schon aus Kiew zu hören war, aber eben keinerlei konkreten Aussagen enthielt.

Ist Kiew zum Verzicht auf NATO-Mitgliedschaft bereit?

Eine der wichtigsten Forderungen Russlands ist seit jeher, dass die Ukraine ein neutraler Staat bleibt, der keinem Militärbündnis – und erst recht nicht der NATO – beitritt. Der angekündigte NATO-Beitritt der Ukraine war der Hauptgrund für die Eskalation im Februar 2022. Daher hat Kuleba in China etwas sehr Überraschendes gesagt.

Er erklärte in seiner Eröffnungsrede vor den Gesprächen mit seinem chinesischen Amtskollegen in Guangzhou, dass die Ukraine beabsichtige, der EU beizutreten, erwähnte jedoch nicht, wie sonst in solchen Fällen, die Pläne Kiews hinsichtlich einer NATO-Mitgliedschaft:

„Die Ukraine hat kürzlich Verhandlungen über einen Beitritt zur EU aufgenommen. Diese Entscheidung ist sowohl für die Ukraine als auch für die EU unumkehrbar. Ich schlage vor, heute über unsere bilateralen Beziehungen auch unter dem Gesichtspunkt der künftigen Mitgliedschaft der Ukraine in der EU und der Beziehungen Chinas zur EU zu sprechen.“

Russland hat 2022 in den Verhandlungen von Istanbul übrigens sogar ausdrücklich zugesagt, einen Beitritt der Ukraine zur EU zu unterstützen. Russland hat sich dem EU-Beitritt der Ukraine offenbar abgefunden, nachdem die Maidan-Regierungen vollendete Tatsachen geschaffen und die alten Handels- und Wirtschaftsverbindungen zwischen der Ukraine und Russland abgebrochen haben. Aber ein NATO-Beitritt der Ukraine und die Stationierung ausländischer Soldaten in der Ukraine bleiben für Russland inakzeptabel.

Wahrscheinlich gab es auch einige Gespräche hinter den Kulissen, vielleicht ist sogar ein russischer Unterhändler vor Ort, den die Chinesen direkt informieren und bei dem sie bei Bedarf rückfragen können, denn kurz nach dem Treffen zwischen Kuleba und dem chinesischen Außenminister kommentierte Kremlsprecher Dmitri Peskow das Treffen in China und die ersten öffentlichen Erklärungen wie folgt:

„Diese Botschaft deckt sich mit unserer Position.“

Das sind ganz neue Töne aus Moskau, die nur bedeuten können, dass Kuleba hinter den Kulissen noch mehr Verhandlungsbereitschaft erkennen ließ, als er in seinen offiziellen Erklärungen verkündet hat. Offenbar wurde man in Moskau schnell informiert, denn die zitierten öffentlichen Erklärungen vom Treffen in China rechtfertigen in keiner Weise den Kommentar, diese Botschaft decke sich mit der russischen Position.

Ist Kiew endlich zu ernsthaften Verhandlungen bereit?

Dass Kiew zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein könnte, zeigt allein schon die Tatsache, dass Kuleba nach China geflogen ist. China gilt in den Augen Kiews als Verbündeter Moskaus und den chinesischen Friedensvorschlag hat Kiew bisher immer rundweg abgelehnt.

Dass sich die Kiewer Position geändert haben könnte, zeigt auch ein Kommentar, den Kuleba nach den Gesprächen in China veröffentlicht hat:

„Wir waren uns einig, dass alle Kräfte zusammenarbeiten sollten, um eine gemeinsame Basis auf dem Weg zur Wiederherstellung eines echten Friedens zu finden.“

Seiner Meinung nach brauche Kiew einen dauerhaften Frieden, keine Illusion. Kuleba bezeichnete die Gespräche mit Wang Yi als detailliert und inhaltlich. Er dankte dem chinesischen Außenminister für seine Gastfreundschaft und lud ihn zu einem Besuch in der Ukraine ein.

Von der bisherigen ukrainischen Kritik an der chinesischen Position zum Ukraine-Konflikt und zum chinesischen Friedensplan gab es dieses Mal keine Spur.

Das bedeutet noch nicht, dass ein Durchbruch erreicht ist. Aber immerhin scheint Bewegung in die richtige Richtung in die Dinge gekommen zu sein.