Leben wir im Erdzeitalter des Anthropozän?

Bergbau, Artensterben, Klimawandel – der Mensch prägt die Erde so stark wie einst nur Naturgewalten. Aber ist unsere Wirkung wirklich so groß, dass wir ein neues Zeitalter der Erdgeschichte begonnen haben?

Das Anthropozän – eine neue Epoche der Erdgeschichte?

Unsere Erde hat schon einiges hinter sich. Während der rund 4,5 Milliarden Jahre, die sie existiert, hat sie sich von einem glühenden giftigen Klumpen mit flüssiger Oberfläche zu einem blauen Planeten entwickelt – mit mildem Klima und bevölkert von zahllosen Pflanzen- und Tierarten.

Triebkraft dahinter waren Naturkräfte: das Abkühlen und Erstarren der Erdkruste, der Ausbruch von Vulkanen, das Verschieben von Kontinenten und Umlaufbahnen, das Strömen der Meere, das Wehen der Winde, die Photosynthese der Vegetation. Doch seit ein paar Jahrtausenden wirkt eine neue Kraft immer intensiver auf das Bild der Erde ein. Es ist keine Naturgewalt, sondern eine Kulturgewalt: die Menschheit.

Um Rohstoffe auszugraben, Städte und Straßen zu bauen, bewegen wir Menschen heute bereits zehn Mal mehr Erdmassen als alle Flüsse, Winde und sonstigen Naturkräfte zusammen. Wir prägen Landschaften, indem wir Kanäle anlegen, mit Staudämmen künstliche Seen schaffen, Wälder für den Ackerbau roden, Naturflächen zubetonieren. Über die Hälfte der eisfreien Landfläche der Erde ist inzwischen zu Kulturlandschaften umgestaltet worden.

Wir haben ein enormes Artensterben ausgelöst

So haben wir zahllose Tiere aus ihrer Lebenswelt verdrängt und ein Artensterben enormen Ausmaßes ausgelöst. Zugleich bevölkern wir die Erde nicht nur mit immer mehr Menschen, sondern auch Milliarden von Nutztieren, die heute über 90 Prozent der gesamten Säugetier-Masse unseres Planeten ausmachen. Auch Pflanzen sind noch nie in der Geschichte der Erde so schnell und so umfassend zwischen verschiedenen Kontinenten migriert und durch Züchtung weiterentwickelt worden.

Selbst das Klima wandeln wir, indem wir in kürzester Zeit Unmengen Kohlenstoff freigesetzt haben, der Millionen von Jahre gebraucht hat, um sich in Form von Kohle, Öl und Gas in der Erde festzusetzen. Über 1,7 Billionen Tonnen CO2 haben wir so bereits in die Atmosphäre gepustet. Das treibt die Temperaturen die Höhe, lässt Gletscher schmelzen, den Meeresspiegel steigen, Küsten erodieren und Meere (die den Großteil des CO2 aufnehmen) versauern.

Anthropozän – die Zeit, die vom Menschen geprägt wird

Kurz gesagt: Wo man auch hinschaut, der Mensch hat der Erde und ihren Bewohnern unübersehbar seinen Stempel aufgedrückt. Forschende diskutieren deshalb, ob wir uns in einem neuen Zeitalter der Erdgeschichte befinden: dem Anthropozän, also der Zeit, die vom Menschen (altgriechisch „ánthropos“) geprägt wird.

Der kürzlich verstorbene Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger Paul Crutzen hat diese Idee vor über zwei Jahrzehnten in die Welt gesetzt. Sie erfreut sich seitdem größter Beliebtheit, auch in den Geisteswissenschaften. Das Anthropozän scheint sowohl die konstruktive als auch destruktive Megawirkung der Menschheit auf den Planeten perfekt auf den Punkt zu bringen.

Ist das Anthropozän ein Pseudo-Zeitalter?

Nun ist es aber so, dass das Ausrufen eines neuen Erdzeitalters nicht Aufgabe von Atmosphärenchemikerinnen oder gar Soziologinnen und Philosophen ist. Das ist vielmehr der Geologie vorbehalten, der Wissenschaft von der Erdkruste. Forschende dieser Disziplin haben die Geschichte der Erde anhand ihrer unterschiedlichen Gesteinsschichten in verschiedene Zeitalter eingeteilt.

In ihnen finden sich Rückstände aus der Zeit ihrer Entstehung, aus denen sich zum Beispiel darauf schließen lässt, welche Tiere und Pflanzen damals gelebt haben (Fossilien) oder wie die Atmosphäre zusammengesetzt war und wo Gletschergrenzen verliefen (geochemische Spuren). Und diese Wächter über die Erdzeitalter erkennen das Anthropozän formell nicht an.

Aus offizieller erdgeschichtlicher Sicht leben wir nicht im Anthropozän, sondern immer noch im Holozän. So wird die Epoche genannt, die vor 11.700 Jahren mit dem Ende der letzten Kaltzeit begann. Bei diesem Übergang erfuhr die Erde bereits einen enormen Wandel: Die globale Durchschnittstemperatur stieg um sechs Grad; die gewaltigen Gletscher, die Nordeuropa und Kanada bedeckten, zogen sich zurück; und der Meeresspiegel sprang über 120 Meter in die Höhe.

Nehmen wir uns zu wichtig?

Anschließend etablierte sich ein relativ stabiles mildes Klima. In eben dieser Zeit hat sich der Großteil der kulturellen Entwicklung des modernen Menschen vollzogen: von Ackerbau und Viehzucht bis zu den Megacitys der Gegenwart.

Seit der Industrialisierung haben die Menschen dagegen „nur“ 25 Zentimeter Meresspiegelanstieg, 1,1 Grad Erderwärmung und den allmählichen Rückgang der Gletscher hervorgerufen.

Da kann man fragen: Was ist das schon im Vergleich zu solch gewaltigen Umwälzungen, wie sie das Holozän mit sich gebracht hat? Nehmen wir Menschen uns zu wichtig, wenn wir uns ein eigenes Zeitalter zuschreiben? Sind wir am Ende nur eine unbedeutende Schwankung der Erdgeschichte? Oder hat die Ausrufung des Anthropozäns doch eine wissenschaftliche Berechtigung?

Darum sollten wir drüber sprechen:

Der Mensch hat sich in die Erde eingeschrieben

Ein internationales Team aus Forschenden der sogenannten „Anthropocene Working Groupe“ (AWG) hat es sich seit einigen Jahren zur Aufgabe gemacht, zu beweisen, dass die Menschheit die Erde so stark verändert hat, dass sich das auch noch viele Jahrtausende später weltweit an den Sedimenten unserer Zeit ablesen lässt.

Als repräsentative Sedimentprobe, die diesen epochalen Übergang festhalten soll, hatte die AWG zuletzt den Crawford Lake in Kanada vorgeschlagen. In diesem kleinen, aber recht tiefen See vermischt sich das Tiefenwasser nicht mit dem höher gelegenen Wasser. Alles, was im See versinkt, kann sich deshalb ungestört am Grund des Sees anreichern – in Kalzitschichten, die sich jeden Sommer aufs Neue bilden.

Und tatsächlich hat eine Probe gezeigt, dass sich die Schichten aus der Mitte des 20. Jahrhunderts von den älteren massiv unterscheiden. Am deutlichsten darin, dass sie größere Mengen an radioaktivem Plutonium enthalten. Das wurde bei (mittlerweile verbotenen) oberirdischen Atomwaffentests zwischen 1945 und 1962 freigesetzt und wird überall auf der Erde noch für Hunderttausende Jahre nachweisbar bleiben.

Was steckt hinter der „Großen Beschleunigung“?

Die AWG hat wegen dieses eindeutigen geologischen Markers die Mitte des 20. Jahrhunderts, also ca. 1950, als Beginn des Anthropozäns vorgeschlagen. Nicht nur das Plutonium wird dafür angeführt: auch Flugasche, Industriemetalle und Pollen aus dem Ackerbau verzeichnen in den Gesteinsproben aus dieser Zeit massive Anstiege.

Als Grund dafür wird die sogenannte Große Beschleunigung nach dem Zweiten Weltkrieg betrachtet: eine explosionsartige Zunahme der Weltbevölkerung, ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten und ihres Ressourcenverbrauchs: vom Abpumpen des Grundwassers, über Flächenfrass und Massentierhaltung bis zum Ausgraben und Verbrennen fossiler Energieträger. Angetrieben wurde die Große Beschleunigung von ungeahnten technologischen Fortschritten und einem zunehmend globalisierten Handel.

Bereits 2016 haben Forschende der AWG in einer Studie zusammengefasst, welche „Signaturen“ wir dadurch langfristig in die Erde eingeschrieben haben:

  • Technofossilien: Der Mensch hat in den letzten Jahrzehnten neue Mineralien in einem Ausmaß erschaffen und verbreitet wie die Erde es seit 2,4 Milliarden Jahren nicht mehr erlebt hat. Aluminium, Beton, Plastik, Glas – all das sind Verbindungen, die natürlich nicht vorkommen, aber noch über lange Zeit in allen Winkeln der Erde Spuren hinterlassen werden, vor allem in Städten und auf Deponien. Dasselbe gilt für Flugasche. Das sind kleine Staubpartikel, die beim unvollständigen Verbrennen von Kohle in die Luft abgestoßen werden und sich in Sedimenten ansammeln.
  • Sedimentäre Prozesse: Gerodete Wälder, Bergbau, Sedimentablagerungen durch Staudämme – die Handschrift dieser menschlichen Aktivitäten ist auf lange Sicht in die Erde eingeschrieben.
  • Geochemische Signale: Durch den massiven Einsatz von Kunstdünger haben wir den reaktiven Stickstoff im Erdsystem verdoppelt. Ähnlich drastische Zunahmen zeigen sich bei Phosphor, Pestizid-Rückständen und Industriemetallen wie Blei, Zink, Chrom oder Kupfer. Sie bleiben Zeugen der intensiven Landwirtschaft und industriellen Produktion unserer Zeit.
  • Radioaktiver Fallout: Radioaktive Partikel wie Plutonium-Isotope wurden bei oberirdischen Atomwaffentests als sogenannter Fallout freigesetzt. Ihre Halbwertszeit liegt bei über 24.000 Jahren. Aber selbst wenn sie eines Tages zu Uran verfallen sind, beträgt dessen Halbwertszeit wiederum über 700 Millionen Jahre.
  • Kohlenstoffkonzentration: Der aktuelle Anteil von CO2 an der Erdatmosphäre ist wegen des massiven Verbrennens fossiler Kohlenstoffträger wie Kohle, Öl und Gas mit 419 ppm (Teile pro Million) so hoch wie seit Millionen von Jahren nicht mehr. Das werden auch Geologinnen und Geologen der Zukunft nachvollziehen können: Mithilfe von Eisbohrkernen, die Luft unserer Zeit einschließen.
  • Temperatur- und Meeresspiegelanstieg: Die Anstiegsraten des Meeresspiegels und der globalen Mitteltemperatur sind aktuell deutlich höher als während der letzten 7000 Jahre. Selbst wenn wir die Emission von Treibhausgasen reduzieren, könnte die Erde im Jahr 2070 heißer sein und das Meer höher stehen, als die Menschheit es je erlebt hat. Auch diese Prozesse hinterlassen Spuren, zum Beispiel durch das Erodieren von Küsten.
  • Artensterben: Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass die Aussterberate von Säugetierarten in den letzten 120 Jahren etwa 27 Mal höher lag als es ohne menschlichen Einfluss der Fall gewesen wäre – bei Amphibien sogar 50 Mal höher. Viele Forschende sind der Meinung, dass wir uns auf dem Weg in ein sechstes Massenaussterben befinden, wie es zuletzt vor 66 Millionen Jahren mit der Auslöschung der Dinosaurier durch einen Meteoriteneinschlag geschehen ist. Zugleich findet durch die Verbreitung einheitlicher Nutztiere und -pflanzen, aber auch durch die Eroberung einst artenreicher Biotope durch invasive Arten eine Homogenisierung der vorherrschenden Arten statt. Das alles wird sich in den Fossilien unserer Zeit deutlich widerspiegeln.

Der Geologe Colin Waters von der englischen University of Leicester – federführender Autor der AWG-Studie – sieht das Anthropozän daher als eine wissenschaftlich nachweisbar neue Epoche. Angesichts der vielen und intensiven Erdsignaturen des Menschen lasse sie sich vom Holozän eindeutig abgrenzen.

Der offizielle Eintritt in eine neue Erdepoche wäre zugleich eine deutliche Botschaft an die Menschheit: Nämlich, dass sie dabei ist, für sie erdgeschichtliches Neuland zu betreten – mit unabsehbaren Folgen für die menschliche Zivilisation, die ihre Überlebensfähigkeit bislang nur im Holozän bewiesen hat.

Ist das Anthropozän wirklich ein eigenes Zeitalter oder nur eine unbedeutende Schwankung?

So sicher sich manche Forschende sind, dass wir im Anthropozän leben, so entschieden lehnen andere das Ausrufen dieser Epoche ab. Einige betrachten den Begriff Anthropozän als popkulturell, geboren aus einer Gesellschaftsdebatte, die die Menschheit erdgeschichtlich zu wichtig nehme und mehr politisch als wissenschaftlich motiviert sei.

Die zerstörerische Kraft des Menschen solle demnach mithilfe des Begriffs verdeutlicht werden und somit helfen, sie in Zukunft stärker einzudämmen. Einer geologischen Prüfung aber halte das Anthropozän letztlich nicht stand. Dabei führen sie im Wesentlichen drei Argumente gegen eine neue Epoche ab Mitte des 20. Jahrhunderts ins Feld:

  • Die Menschheit prägt die Erde und ihr Klima bereits seit Jahrtausenden. Das Holozän ist also bereits ein Anthropozän und sollte, wenn überhaupt, umbenannt werden. Der Startpunkt dieses Anthropozäns läge dann aber viel weiter in der Vergangenheit.
  • Sowohl das Holozän als auch das Anthropozän bewegen sich im üblichen Schwankungsbereich des Pleistozäns. Wir befinden uns also genau genommen immer noch in dieser 2,6 Millionen Jahre alten Epoche. Ob wir ihre Grenzen durch menschlichen Einfluss sprengen werden, ist noch nicht absehbar.
  • Geologische Epochen umfassen normalerweise Zeiträume von mehreren Jahrtausenden, wenn nicht gar Millionen Jahren. Es sei also schlichtweg noch zu früh, innerhalb einer einzigen Menschheitsgeneration eine neue Epoche auszurufen, da wir nicht wissen können, wie sich die Erde künftig entwickelt.

Tatsächlich hat die International Union of Geological Sciences (IUGS) – die in dieser Frage das letzte Wort hat – das Ausrufen einer neuen Epoche namens Anthropozän ab Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem aus erstgenanntem Grund erstmal abgelehnt. Die höchste geologische Gesellschaft ist damit dem Votum der Subcommission on Quaternary Stratigraphy gefolgt, die sich mit der jüngsten Erdgeschichte befasst, die Arbeit der AWG 2009 in Auftrag gegeben und ihren Vorschlag dann aber dieses Jahr abgelehnt hatte.

Der Einfluss der Menschen reicht weiter zurück

Mitglieder des Ausschusses wie Mike Walker, Geowissenschaftler und emeritierter Professor an der University of Wales Trinity Saint David, begründeten die Ablehnung in einem Interview mit der New York Times: „Der Einfluss des Menschen reicht viel tiefer in die geologische Zeit zurück. Wenn wir das ignorieren, ignorieren wir die wahren Auswirkungen, die wirklichen Auswirkungen, die der Mensch auf unseren Planeten hat.“

Ähnlich äußerte sich auch der Geologe Jan Piotrowski von der Universität Aarhus in Dänemark: „Was geschah zum Beginn der Landwirtschaft? Was ist mit der industriellen Revolution?“

Dass die Menschheit die Erde bereits seit Jahrtausenden umformt, ist in der Tat unumstritten. Die Umleitung von Flüssen zur künstlichen Bewässerung von Feldern wurde im großen Stil bereits vor zwei bis acht Jahrtausenden in China, Ägypten, Nahost, Südasien und Mittelamerika praktiziert.

Begann der menschengemachte Klimawandel schon vor Jahrtausenden?

Auch zum Aussterben der Mammuts seit dem Ende der letzten Eiszeit haben Menschen als Jäger ihren Beitrag geleistet. Technofossilien wie Keramik hinterlassen wir bereits seit 20.000 Jahren in der Umwelt. Aber vor allem beeinflusst der Mensch das Klima nicht erst seit der Industrialisierung.

Der Paläoklimatologe William Ruddiman hat bereits 2003 die These ins Spiel gebracht, dass die großflächige Abholzung von Wäldern für den Ackerbau in Europa vor 8000 Jahren und der Beginn des Reisanbaus in Asien vor 5000 Jahren bereits so große Mengen an Treibhausgasen (CO2 und Methan) freigesetzt haben, dass eine Abkühlung des Klimas – die dem Rhythmus des Pleistozäns nach eigentlich zu erwarten gewesen wäre – verhindert wurde.

Der Mensch habe also damals schon ein Abrutschen der aktuellen Warmzeit in eine neue Eiszeit verhindert – und damit Temperatur, Meeresspiegel, Gletscher und Flora und Fauna massiv verändert. Der heutige menschengemachte Klimawandel sei daher nur eine graduell verstärkte Fortführung einer Jahrtausende alten Entwicklung. Wenn überhaupt müsse das Anthropozän also nicht 1950 beginnen, sondern vor vielen Jahrtausenden.

Aber: Erst seit der Großen Beschleunigung verblassen natürliche Kräfte im Vergleich zur Einwirkung des Menschen

Ruddiman ist mit dieser Perspektive nicht allein, doch sie ist angreifbar. Denn das Anthropozän soll die Epoche bezeichnen, in der der Mensch zur prägendsten Kraft der Erde wurde und nicht nur eine unter vielen darstellt. Einer Studie aus 2017 zufolge wurde der Mensch aber erst in den letzten drei Jahrtausenden ein dominanter Faktor im Kohlenstoffzyklus der Erde. Und erst seit der Großen Beschleunigung verblassen natürliche Kräfte im Vergleich zur mittlerweile ungleich intensiveren Einwirkung des Menschen auf den Planeten.

So haben vor 6500 Jahren beispielsweise nur zehn Millionen Menschen auf der Welt gelebt, also 800 Mal weniger als heute. Unser heutiger Ressourcenbedarf lässt sich mit dieser Zeit kaum vergleichen, ebenso wenig wie die technischen Möglichkeiten, um diesen Bedarf zu decken. Nur dank moderner Maschinen können wir Unmengen an Brennstoff und Mineralien aus dem Boden befördern, verheizen oder verbauen.

In den letzten drei Jahrhunderten haben wir zudem über ein Drittel aller Wälder der Erde vernichtet – kein Vergleich zu den Flächen unserer Vorfahren. Deren Auswirkungen waren meist regional begrenzt. Zur zeitlichen Bestimmung einer neuen Epoche der gesamten Erde bleiben sie daher letztlich ungeeignet – im Gegensatz zu den zahlreichen globalen Signaturen, die wir heute hinterlassen.

Anthropozän, Hololzän oder doch nur Pleistozän?

Bleibt das stärkere Gegenargument gegen die Ausrufung des Anthropozäns: Dass selbst das Holozän eine anthropozentristische Erfindung sei und wir uns immer noch im 2,6 Millionen Jahre alten Pleistozän befänden, dessen Schwankungsbereich zwischen Warm- und Kaltzeiten wir nie verlassen hätten.

Tatsächlich wurde das Holozän im 19. Jahrhundert als eigene Epoche etabliert, weil in dieser Zeit der Mensch den Planeten erobert hat – und weil man damals noch gar nicht von der Existenz früherer Warmzeiten wusste. Schaut man sich jedoch nüchtern geologische Faktoren wie Klima, Meeresspiegel und polare Eisschilde an, so ist das Holozän größtenteils auch nur eine normale Warmzeit von vielen während des Pleistozäns.

Stützen sich Befürworter:innen des Anthropozäns zu viel auf Zukunftsprognosen?

Selbst wenn wir die letzten Jahrzehnte betrachten, wirken manche menschengemachten Veränderungen des Erdsystems recht klein im Vergleich zu den natürlichen Schwankungen des Pleistozäns. So steigt der Meeresspiegel heute etwa 3,7 Millimeter pro Jahr. Zum Ende der letzten Kaltzeit hingegen waren es zeitweise über 40 Millimeter pro Jahr. Auch die Temperaturen liegen heute noch im Bereich der letzten Warmzeit, in der es bis zu 1,5 Grad wärmer (wenn nicht sogar mehr) als zu Beginn der Industrialisierung gewesen sein könnte.

Der Wissenschaftsphilosoph Carlos Santana weist zudem darauf hin, dass das scheinbar rasante Artensterben noch weit davon entfernt sei, das Kriterium für ein sechstes Massenaussterben zu erfüllen, für das drei Viertel aller Arten der Erde ausgerottet werden müssten.

Die Menschheit kann das Ruder noch rumreißen

In seinem Paper „Waiting for the Anthropocene“ (2019) problematisiert er, dass sich die Befürworterinnen und Befürworter des Anthropozäns viel auf Zukunftsprognosen stützten, obwohl die Aufgabe der Geologie bislang der Blick in die Vergangenheit anhand von Gesteinen war. Auch wenn der aktuelle Klimawandel und das Artensterben großes Potenzial hätten, die Grenzen des Pleistozäns zu sprengen, könne das heute noch niemand sicher wissen.

Die Menschheit könnte mit Klimaschutz, Recycling-Kreisläufen oder Schutzmaßnahmen für Biotope ihren Fußabdruck enorm verringern. Laut Santana sei es durchaus möglich, dass ein Geologe in 100.000 Jahren in den Sedimenten unserer Zeit dann keinen epochalen, sondern nur einen erdgeschichtlich unbedeutenden Wandel feststellen würde. Und solange das möglich ist, sollten wir das Anthropozän geologisch nicht anerkennen.

Die Geschwindigkeit der Temperaturänderungen ist außergewöhnlich

Wenn die Menschheit sich eine erdgeschichtliche Epoche zuschreiben will, muss sie sich an den Maßstäben der bisherigen Epochen messen lassen. Noch mögen die heutigen Temperaturen im Rahmen des Pleistozäns liegen: Die Geschwindigkeit, mit der sie sich ändern, tut es aber nicht. Die Erde hat sich im letzten Jahrhundert zehn Mal schneller erwärmt als beim Wechsel von Kalt- zu Warmzeiten bislang üblich – Tendenz weiter steigend. Die Rate der CO2-Freisetzung ist wahrscheinlich sogar die höchste seit 66 Millionen Jahren.

Wir rasen also gewissermaßen auf Veränderungen zu, die wir aber wegen der Trägheit des Erdsystems erst zeitversetzt in vollem Umfang erleben werden. Dass sie aber kommen und massiv ausfallen werden, ist ziemlich sicher.

Selbst wenn die Menschheit morgen verschwinden würde, haben wir mit unseren Emissionen laut einer Studie vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung bereits dafür gesorgt, dass die aktuelle Warmzeit wahrscheinlich noch 50.000 Jahre andauern wird, bei weiteren moderaten Emissionen sogar 100.000 Jahre, was den Rhythmus des Pleistozäns völlig sprengen würde.

Die Zukunftsprognosen kündigen einen massiven Wandel an

Das mag eine Prognose sein, aber sie basiert auf wissenschaftlichen Klimamodellen. Die Geologie wird auf sie zurückgreifen müssen, wenn sie die jüngste Epoche der Erdgeschichte bereits zu ihrem Beginn erfassen möchte. Und die Modelle lassen einen massiven Wandel der Erde erwarten, selbst wenn wir gegensteuern.

Der Kipppunkt, ab dem beispielsweise ein vollständiges Abschmelzen des Grönland-Eisschildes über die nächsten Jahrhunderte nicht mehr verhindert werden kann, ist eventuell bereits ab 1,7 Grad Erderwärmung gegenüber vorindustrieller Zeit überschritten – also nicht mehr allzu weit entfernt. Das Verschwinden der Eisflächen führt zugleich dazu, dass weniger Sonnenstrahlen zurück ins Weltall reflektiert werden, die Erde wird noch wärmer. Eine Spirale, die wir Menschen losgetreten haben und irgendwann vielleicht nicht mehr stoppen können.

Man kann natürlich darüber streiten, ob eine Epoche verselbständigten Klimawandels noch Anthropozän genannt werden sollte oder ob wir eher als einmaliges geologisches „Event“ in die Erdgeschichte eingehen. Womöglich bleiben wir nicht für immer die prägendste Kraft des Planeten, doch wir werden durch die bleibenden Rückstände der Großen Beschleunigung (ob nun Plutonium, Beton oder Bergbaulandschaften) geologisch nachweisbar der Auslöser dieser Entwicklung gewesen sein – vergleichbar mit einem Meteoriten, der auf die Erde eingeschlagen ist.

Haben wir die Verantwortung für das Schicksal der Erde?

Der Vorwurf, die Idee des Anthropozäns sei (auch) aus politischer Motivation heraus entstanden, ist nicht völlig an den Haaren herbeigezogen. Der Vater der Idee, Paul Crutzen, schrieb 2002 in der Fachzeitschrift Nature: „Wissenschaftler und Ingenieure stehen vor der gewaltigen Aufgabe, die Gesellschaft während des Anthropozäns zu einem ökologisch nachhaltigen Management [der Erde; Anm. d. Red.] anzuleiten.“

Als prägendste Kraft des Planeten sollten wir Menschen unsere Macht dem Nobelpreisträger zufolge verantwortungsvoll wahrnehmen. Selbst vor Geo-Engineering-Maßnahmen sollten wir nicht zurückschrecken, also zielgerichteten technischen Großeingriffen in die Prozesse der Erde, um den selbst verschuldeten Klimawandel gewissermaßen zu korrigieren. Andere wiederum sehen das Anthropozän als Mahnung, dass der Mensch vielmehr zurückfahren und sich in die bestehenden Kreisläufe der Natur harmonischer einfügen sollte.

Dis Diskussion um das Anthropozän zeigt einen dringenden Bedarf auf

Auch wenn die IUGS das Anthropozän noch nicht offiziell als neue geologische Epoche anerkennt, so doch zumindest als einflussreiches Konzept, das „nicht nur Geologen und Umweltwissenschaftler vielfach nutzen werden, sondern auch Sozialwissenschaftler, Politiker, Ökonomen und die breite Öffentlichkeit. Als solches wird es ein Schlagwort von unschätzbarem Wert für Mensch-Umwelt-Interaktionen bleiben.“

Die Tatsache, dass eine formelle Anerkennung erstmal ausbleibt, sollte Forschende nicht davor zurückschrecken lassen, sich dem Anthropozän wissenschaftlich zu widmen – eher im Gegenteil. Die Diskussion zeigt vielmehr einen Bedarf auf: Das Gefühl, dass der Mensch das Schicksal der Erde in der Hand hat und fragwürdig verwaltet, anhand fundierter (auch geologischer) Analysen zu überprüfen.

Im besten Fall wird das Anthropozän zu einer sich selbst verhindernden Prophezeiung

Den veränderten Erdbedingungen seit Mitte des 20. Jahrhunderts einen Namen zu geben, könnte dabei helfen, einen klar umrissenen Forschungsgegenstand zu schaffen, so wie es mit dem Holozän bereits gelungen ist. Der Befürworter und Geobiologe und Paläontologe Reinhold Leinfelder von der Freien Universität Berlin, der in der AWG mitgearbeitet hat, zeigte sich in einem Interview optimistisch, dass das eines Tages auch noch geschehen wird: „In der Geologie können solche Entscheidungen aber eben leider manchmal keine erdgeschichtlichen Zeiträume, aber doch ein halbes Jahrhundert dauern.“

Ob es nun so kommt oder nicht: Die Debatte um das Anthropozän hat bereits das Bewusstsein über die enorme Verantwortung der Menschheit für die Zukunft der Erde gefördert. Im besten Fall wird das Anthropozän zu einer sich selbst verhindernden Prophezeiung, weil es uns dazu animiert, den epochalen Einschnitt, den wir eingeleitet haben, so gering wie möglich zu halten.

Quellen:

Darum sollten wir drüber sprechen

Aber

Und jetzt?


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