„Frankreich unter den Bus geworfen“

Nach Wahlsieg der Rechtspopulisten: Schock-Kommentare,
Proteste in vielen Städten

Frankreichs Establishment im Schockzustand! Wird tatsächlich die rechtspopulistische Partei „Rassemblement National“ (früher: „Front National“) den Premierminister stellen? Danach sieht’s aus! Auch, wenn am Sonntag in den meisten Wahlkreisen eine zweite Wahlrunde abgehalten wird.

Die Presse hat dafür einen klaren Schuldigen ausgemacht: Präsident Emmanuel Macron (46). Und auch ein sehr großer Teil der Bevölkerung ist sauer, gibt ihm die Schuld für den Aufstieg der Rechten.

Sonntagabend, Linken-Demo am Pariser „Place de la République“

Am Sonntag explodierte die Wut der Linken in vielen Städten, unter anderem auf der Pariser Place de la République, Anhänger von Jean-Luc Mélenchon skandierten linke, aber auch krass antiisraelische Slogans.

Barrikade in der Nähe der Place de la République

Er ist der neue Buhmann der Nation: Nicht nur, dass er die Nationalversammlung auflöste und damit vorgezogene Neuwahlen einleitete, für die nur 20 Tage Vorbereitungszeit galten – er verliert sie auch noch haushoch!

Seine Partei („Renaissance“) kommt nach der ersten Wahlrunde nur auf Platz 3 hinter den Le-Pen-Rechten und den Linksextremen („Neue Volksfront“). Am Sonntag, nach der zweiten Wahlrunde, bei der in vielen Wahlkreisen die Entscheidung fällt, wird genau klar, wie das neue Parlament zusammengesetzt wird.

Ernste Miene: Emmanuel Macron (46) in seinem Heimatwahlkreis Le Touquet am Sonntag

„Danke, Macron!“ … für diese Katastrophe

„Le Figaro“ betitelt ihren Kommentar mit: „Eine französische Tragödie“ und schreibt: „Wenn Historiker auf die Auflösung des Parlaments zurückblicken werden, wird ihnen nur ein Wort einfallen: Desaster!“

„Was für ein Trümmerfeld!“, empört sich ihr Chefredakteur und schreibt sarkastisch „Danke Macron“ für die „Regimekrise“.

Doch zwischen den Rechtspopulisten (RN) und den Linksextremen („Neue Volksfront“) ist für den „Figaro“-Chef klar, wer das kleinere Übel darstellt: „Das Programm der RN ist sicherlich in vielerlei Hinsicht besorgniserregend, aber auf der anderen Seite: Antisemitismus, islamistischer Linksismus, hassvoller Klassenkampf, Steuerhysterie … Eine Ideologie, die dem Land Schande und Ruin bringen würde.“

„Ère Haine“ (Ära des Hasses) ist ein Wortspiel: Es spricht sich genau so aus wie „RN“, die Initialen der Le-Pen-Partei
Ähnliches Wortspiel mit dem Satz „Es ist zu viel Hass in der Luft“

Präsident hat „Frankreich unter den Bus geworfen“

Die linke „Libération“ ruft zur Blockade der Rechten auf: „Der Staatschef hat Frankreich unter den Bus geworfen. Doch der ist weitergefahren und steht nun vor den Toren von Matignon (Sitz des Premierministers). Die einzige Möglichkeit, ihm den Zugang zu verwehren, ist eine republikanische Blockade nach links.“ 

Viele Wähler der Mitte tun sich schwer, mit dieser Linken die Le-Pen-Partei zu verhindern

Macron-Ära „schon vorbei“

Politico (gehört wie BILD zur Axel Springer SE) titelt: „Macron ist schon vorbei. Kann jemand Le Pen stoppen?“ 

Auch sie rechnet hart mit Macron ab: „Die erste Runde der Parlamentswahlen am Sonntag war eine persönliche Demütigung, ebenso wie sein atemberaubender Aufstieg ins Präsidentenamt vor sieben Jahren.“

Jetzt stehe Emmanuel Macron „vor einer bitteren, schmerzhaften Entscheidung: Soll er alles daran setzen, die extreme Rechte aufzuhalten, oder versuchen, die Überreste seiner einst dominierenden Bewegung zu retten, bevor sie stirbt?“

„Der Wandel beginnt“ lautet die Botschaft von Jordan Bardella (28), der wahrscheinlich bald der erste Premierminister der Le-Pen-Partei wird

Macron hat sich verzockt

Einig sind sich sehr viele Medien, dass sich Macron mit der Auflösung des Parlaments nach der EU-Wahl komplett verzockt hat.

Die „Zeit“ fragt sich, was Macron dabei getrieben hat: „Selten hat ein einzelner Mann in einer westlichen Demokratie so einsam entschieden. Ob aus Selbstüberschätzung, gekränktem Stolz oder anderen Motiven – diese Frage wird die Historiker beschäftigen.“

Das „Wall Street Journal“ schreibt gar: „Wenn Sie mit Emmanuel Macron in einem Kasino sind, dann kopieren Sie nicht seine Einsätze nach. (…) Seine Wette war, dass die Wähler wieder nüchtern würden, wenn es um die Nationalversammlung geht. Sie schenkten sich stattdessen noch einen Doppelten ein.“