EU will Erträge aus russischem Geldschatz für Militärhilfe nutzen

Die milliardenschweren Zinserträge aus eingefrorenen Geldern Moskaus sollen investiert werden, um der Ukraine Waffen zu kaufen. Sinnt Putin nun auf Vergeltung?

Die Frage treibt den Westen ungefähr so lange um, wie die russischen Auslandsgelder im Zuge der westlichen Sanktionen nach Moskaus Angriff auf die Ukraine schon eingefroren sind: Sollen sie konfisziert und zugunsten Kiews ausgegeben werden? Europa hat sich nun nach langen Monaten der Beratung und vielen rechtlichen Bedenken auf einen womöglich heiklen Weg geeinigt. Mit rund 3 Mrd. Euro, die von den festgesetzten russischen Reserven jährlich abgeschöpft werden, soll zum allergrößten Teil das ukrainische Militär unterstützt werden. 

Vertreter der Mitgliedstaaten verständigten sich darauf am Mittwoch in Brüssel, wie die derzeitige belgische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte. Das in Brüssel ansässige Finanzinstitut Euroclear, das das Vermögen der russischen Zentralbank verwaltet, hat nach eigenen Angaben 2023 rund 4,4 Mrd. Euro an Zinsen eingenommen. Nach der Einigung sollen nun die ab Februar dieses Jahres zu erwartenden Erlöse auf rund 210 Mrd. Euro Reserven abgeführt werden. 

Europa geht damit einen anderen Weg als im Kreis der G20-Industrie- und Schwellenländer diskutiert – und vor allem in Washington favorisiert wurde. Nicht die eingefrorenen Gelder selbst sollen der Ukraine direkt zum Wiederaufbau oder zur Verteidigung zugutekommen, sondern nur der Zugewinn, der vor allem in Belgien entsteht, wo das meiste Vermögen verwahrt wird. Die Option einer tatsächlichen Konfiszierung war wegen Risiken des Völkerrechts, von Vergeltungsmaßnahmen und möglichen globalen Irritationen gegenüber dem europäischen Finanzplatz ausgeschlagen worden. Einige Regierungen befürchteten zudem, dass eine Welle von Reparationsforderungen drohen könnte.

Den konsensfähigen Vorschlag hatten EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell den EU-Regierungen im März gemacht. Demnach sollen 90 Prozent der nutzbaren Zinserträge aus der Verwahrung in den EU-Fonds für die Finanzierung militärischer Ausrüstung und Ausbildung geleitet werden. Die restlichen 10 Prozent sollen für direkte Finanzhilfen an die Ukraine genutzt werden. „Wir können über vieles nachdenken, aber dieses Verfahren ist aus unserer Sicht juristisch umsetzbar“, sagte Borrell Ende April in einer Rede, die bereits als Abfuhr für amerikanische Vorschläge zu verstehen war.

Schwierig waren die Verhandlungen unter anderem auch, weil neutrale Staaten wie Österreich sich nicht direkt an der Lieferung von Waffen und Munition beteiligen wollen – für sie wurde nun vereinbart, dass die Zinserträge zum Teil auch für andere Finanzhilfen verwendet werden. Zudem war umstritten, wie viel Geld Euroclear für seinen Aufwand einbehalten darf. 

Deutschland war für die jetzige Lösung

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte wenige Tage vor dieser Einigung nach einem Treffen mit den Amstkollegen der drei baltischen Staaten in Riga betont, dass Erträge aus den eingefrorenen russischen Geldern in der EU künftig für Waffenkäufe weltweit zugunsten der Ukraine genutzt werden könnten. Es gebe für die etwa 90 Prozent, die für ukrainische Verteidigungszwecke dienen sollen, „keine Festlegung auf Beschaffung in Europa“. Es sei wichtig, dass Munition und Waffen auch außerhalb Europas beschafft würden. „Denn tatsächlich kommt es jetzt darauf an, dass schnell Waffen geliefert werden können und nicht, dass es erst geschieht, wenn eine neue Fabrik gebaut ist.“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte die EU zuletzt mehrfach aufgefordert, auch die Vermögenswerte selbst zu nutzen, um den russischen Terror zu stoppen. Russland müsse sich der tatsächlichen Kosten des Krieges und der Notwendigkeit eines gerechten Friedens bewusst sein. Die von Russland verursachten Kriegsschäden bezifferte Vizeregierungschef Olexander Kubrakow zuletzt auf 500 Mrd. Euro und berief sich dabei auf Zahlen der Weltbank, der EU und der UNO.

Nur die USA wollen somit offenbar den Weg der direkten Enteignung gehen. In Washington hält man es für rechtlich vertretbar und sogar für geboten, die Gelder sozusagen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg zu beschlagnahmen. Das Argument der Amerikaner lautet, die völkerrechtswidrige Invasion Russlands habe die G7-Industriestaaten „besonders betroffen“ und auch deren Volkswirtschaften geschadet. Somit hätten sie das Recht, Maßnahmen zu ergreifen, die Moskau zum Rückzug zwingen.

Das jüngste Hilfspaket, das im April den US-Kongress passierte, ebnet der Regierung von Joe Biden tatsächlich bereits den Weg, russische Gelder in den USA zu konfiszieren. In Europa verweist man zugleich darauf, dass es für die USA leicht sei, in dieser brisanten Frage eine Hardliner-Haltung einzunehmen. Denn dort liegen nur etwa 5 Mrd. Dollar an russischen Staatsreserven. Entsprechend wenig habe Washington zu verlieren.

Schlägt Moskau zurück?

Man darf gespannt sein, wie Moskau sich weiter verhält. Vergangenes Jahr wurde die EU davor gewarnt, das Eigentum des russischen Staates oder russischer Bürger zu konfiszieren. Denkbar wäre, hieß es, dass Russland im Gegenzug dort tätige Unternehmen aus EU-Ländern zwangsenteignet. Zudem könnte eine direkte Nutzung der russischen Vermögenswerte auch dazu führen, dass andere Staaten und Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzplatz verlieren und Vermögen aus der EU abziehen.

Am Mittwoch gab ein Moskauer Gericht grünes Licht für die Beschlagnahmung von Vermögenswerten der Commerzbank und einer Europa-Tochter der US-Großbank JP Morgen in Russland. Betroffen sind Vermögenswerte der beiden Institute von rund 12,4 Mio. Euro. Das Gericht entschied zugunsten eines Antrags der Transkapitalbank, die wie andere russische Finanzhäuser nach dem Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine mit westlichen Sanktionen belegt worden war. 

Der Schritt wird westliche Banken und Unternehmen weiter verunsichern, die um ihre Vermögenswerte in Russland besorgt sind. Bisherige Vergeltungsmaßnahmen waren unter anderem die Beschlagnahmung und Pfändung von Unternehmenswerten und die Bestellung von neuen Managern in die Tochtergesellschaften westlicher Firmen. Wenn Unternehmen ihr Russlandgeschäft beenden wollen, müssen mit erheblichen Preisnachlässen verkaufen. Oft wurde nur ein symbolischer Rubel gezahlt.

Laut der Yale School of Management, die das Verhalten ausländischer Unternehmen in Russland laufend verfolgt und analysiert, sind rund tausend Firmen aus Russland ausgestiegen – zuletzt auch der deutsche Baustoffhersteller Knauf. Hunderte Firmen sind aber weiterhin in dem Land tätig oder haben ihre Geschäfte lediglich auf Eis gelegt. 

Unmengen an Geldern aus Russland hat der Westen nach Kriegsbeginn bei sich eingefroren – Mittel, die der Ukraine helfen könnten. Doch der Streit darum entzweit Amerikaner und Europäer

Als sich die Finanzminister der G20-Staaten unlängst in Brasilien trafen, mussten sie sich mit einem ebenso dringenden wie unangenehmen Thema herumschlagen: Sollen die russischen Auslandsgelder, die im Zuge der westlichen Sanktionen eingefroren worden waren, beschlagnahmt und für andere Zwecke genutzt werden?

Schon der Gedanke löste Alarm bei einigen Teilnehmern aus, die Minister Saudi-Arabiens und Indonesiens äußerten gravierende Bedenken. Die Kernfrage: War den G7-Staaten klar, welche Folgen ein solch drastischer Schritt haben könnte? Es ist eine Frage, die die Debatte begleitet, seit erstmals die Idee aufgekommen war, Hunderte Milliarden von Euro an russischen Zentralbankgeldern dafür einzusetzen, die Ukraine zu unterstützen.

Die Befürworter dieses Modells, allen voran die USA, setzen darauf, dass ein derartiger Finanzschub der Ukraine einen entscheidenden Vorteil im Krieg verschaffen könnte. Die Gegner fürchten, dass damit ein gefährlicher Präzedenzfall für das Völkerrecht geschaffen würde. Bedroht seien, so argumentieren sie, nicht nur die Interessen jedes Landes, das es sich mit der westlichen Staatengemeinschaft verscherze, sondern sogar die internationale Rechtsordnung selbst.


Kommentare

Eine Antwort zu „EU will Erträge aus russischem Geldschatz für Militärhilfe nutzen“

  1. Der sog. „Westen“ ist offenbar nicht nur finanziell Pleite,

    sondern auch geistig ! ! !

    Wenn die wirklich glauben, Rußland würde sich den
    Raub von hunderten Mrd. € gefallen lassen, dann
    kann man diese Herrschaften in der Führungs-Riege des
    sog. Westen nur noch fragen: „Wie fühlt es sich an, bevor
    die Lemminge über die Klippe springen
    “ !@?

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