Die Waffen nieder!

(von Jens Woitas)

Vergebliche Rufe nach Eskalationsvermeidung

Die Zeichen stehen in diesen Tagen unübersehbar auf Krieg. Genauer gesagt, findet dieser Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten schon seit längerer Zeit statt, droht sich aber jetzt deutlich auszuweiten und auch die bislang so friedliche Bundesrepublik zu ergreifen. Die von Russland abgehörte Videokonferenz, in der Bundeswehroffiziere über die technischen Einzelheiten eines Angriffes mit deutschen Taurus-Marschflugkörpern auf die Krim-Brücke bei Kertsch sprachen, hatte für die Beteiligten keine Konsequenzen. Damit hat die Bundesregierung aber indirekt zugegeben, dass eine solche Aktion nicht nur im Bereich des Möglichen liegt, sondern sogar von den politischen Führungsebene gewollt ist. Soldaten handeln auch im Jahre 2024 nicht ohne Befehl! US-Präsident Joe Biden hat in seiner Rede zur Lage der Nation Entschlossenheit und Durchhaltewillen gezeigt, „Russland die Stirn zu bieten“. Er schloss zwar weiterhin ein direktes Eingreifen von US-Soldaten in den Ukraine-Krieg aus. Da aber die bisherige westliche Strategie, die Ukrainer stellvertretend für USA und NATO gegen Russland kämpfen zu lassen, mehr und mehr an einer Erschöpfung personeller und materieller Ressourcen scheitert, muss eine dritte Variante her.

Damit sind wir wieder bei den Taurus-Marschflugkörpern und anderen, ähnlichen Waffensystemen europäischer NATO-Staaten. Diese sollen offenbar im Hinterland der Kriegsfront die russische Logistik empfindlich treffen und so das Kriegsgeschehen zugunsten der ukrainischen Bodentruppen wenden. Die erwähnte Brücke von Kertsch ist dabei eine Schlüsselstellung, weil Russland ohne diesen Übergang die Krim kaum militärisch halten kann. Der CDU-Verteidigungsexperte Roderich Kiesewetter spricht sogar offen über Taurus-Attacken auf Ziele in der russischen Hauptstadt Moskau. Das Kommando westeuropäischer Soldaten, einschließlich von Bundeswehroffizieren, über diese Aktionen soll zwar so weit wie möglich verschleiert werden. Es wird jedoch zu einem offenen Geheimnis, weil zum einen die Anwesenheit solcher NATO-Vertreter in der Ukraine schon zugegeben worden ist – unter anderem in der besagten Videokonferenz – und zum anderen die Ukrainer gar nicht über die technischen Voraussetzungen zum Einsatz von NATO-Marschflugkörpern verfügen. Der Taurus kann etwa nur von Flugzeugen der Typen „Tornado“ und „Eurofighter“ abgefeuert werden, über welche die ukrainischen Streitkräfte nicht verfügen.

Kinderpropaganda und Verharmlosung

Diese Strategie ist für Deutschland ungeheuer riskant. Auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ermächtigt völkerrechtlich sehr wahrscheinlich nicht Dritte zu Angriffen auf russisches Territorium. Eine Attacke gegen eine Brücke, auf der man den Auto- und Bahnverkehr ja nicht einfach vor dem Militärschlag einstellen kann, ginge schon sehr weit in Richtung eines Kriegsverbrechens. Russland wäre fast ohne Zweifel dazu in der Lage, seinerseits mit massiven Raketenangriffen zurückzuschlagen. Diese würden dann nicht die USA, sondern Westeuropa treffen, und vor allem Deutschland. Unseren polit-medialen Machtkomplex scheint dies nicht zu kümmern. Er schreitet unbeirrbar in seinen Kriegsvorbereitungen fort. Für Russland verkündet das Bundesaußenministerium eine „dringende“ Reisewarnung. Dies kann nur an der Erwartung liegen, dass im Kriegsfalle allen sich dort befindlichen wehrfähigen Deutschen die Internierung drohen würde. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach fordert, dass sich das bundesdeutsche Gesundheitswesen auf die Folgen möglicher „militärischer Konflikte“ einstellen müsse.

Kriegspropaganda wird auch schon an die Kleinsten adressiert. In der Sendung „logo!“, den Kindernachrichten des ZDF, treten sprechende und mit Gesichtern versehen Marschflugkörper als Sympathieträger auf. Bei den Erwachsenen wird die Repression gegen Oppositionelle und Alternativmedien von Tag zu Tag verschärft. Sehr wahrscheinlich geschieht das schon im Hinblick auf den Kriegsfall, denn spätestens dann wäre eine uniformierte öffentliche Meinung für die Herrschenden unverzichtbar. Mit Festbeleuchtungen zum Ramadan sollen die in Deutschland lebenden Moslems, deren eigener Krieg der Ukraine-Konflikt kaum sein kann, ähnlich beschwichtigt werden wie zur Zeit des Corona-Lockdowns mit den öffentlichen Muezzin-Gesängen.

Öffentliche Abstumpfung gegenüber Kriegsgefahren

Dass dies alles realer Wahnsinn ist, braucht an dieser Stelle kaum noch erwähnt zu werden. Ähnlich erschreckend wie die außenpolitische Lage ist aber die fast völlige Abstumpfung weiter Teile der Öffentlichkeit gegenüber den Kriegsgefahren und dem täglich neuen Grauen auf den Schlachtfeldern der Ukraine und Palästinas. Das Massensterben im Gazastreifen, der Terror israelischer Siedler im Westjordanland, aber auch die zunehmende Paralysierung des Staates Israel durch einen permanenten Kriegszustand rufen kaum noch Emotionen hervor. Selbst die (mutmaßliche) Erschießung von sehr wahrscheinlich weit über hundert hungernden Menschen durch israelische Soldaten bei einer der seltenen Lebensmittellieferungen in den Gazastreifen hat nicht einmal bei den in Deutschland lebenden Moslems erwähnenswerte Proteste ausgelöst. Man muss befürchten, dass der Arzt und Molekulargenetiker Michael Nehls mit seinem Buch „Das indoktrinierte Gehirn“ Recht behält. Nehls zufolge wirken sowohl das Corona-Virus Sars-CoV-2 als auch die dagegen verabreichten mRNA-Impfstoffe mit ihren Spike-Proteinen auf das menschliche Gehirn ein und fördern langfristig Depressionen und Demenz. Stumpfsinn kann als Vorstufe beider Krankheiten verstanden werden.

Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf und möchte hier für ein entschiedenes Eintreten für Frieden um nahezu jeden Preis als den aus meiner Sicht einzigen Ausweg aus der verfahrenen Lage werben. „Pazifismus“ ist sicherlich ein umstrittener Begriff. Er ist aber andererseits auch schon eine sehr alte Forderung. Ihn vertrat etwa schon vor zweitausend Jahren ein gewisser Jesus von Nazareth. Im Jahre 1889 veröffentlichte die österreichische Friedensaktivistin und spätere Friedensnobelpreisträgerin (1905) Bertha von Suttner den Roman „Die Waffen nieder!“. Der Titel wurde zum vergeblichen Appell, Entwicklungen rechtzeitig zu stoppen, die dann 1914 zum mörderischen Ersten Weltkrieg führten. Dieser Krieg leitete als „Urkatastrophe“ den Niedergang einer zum Zeitpunkt des Kriegsausbruches weltweit dominierenden europäischen Zivilisation ein.

Unterschiede und Parallelen zu 1914

Parallelen zwischen der fatalen „Julikrise“ von 1914 und unserer Gegenwart wurden und werden immer wieder gezogen. Sie bestehen aus meiner Sicht aber weniger in jenem „Schlafwandeln“ in den Krieg, das der australische Historiker Christopher Clark in einem viel beachteten Buch 2014 zum hundertsten Jahrestag des Kriegsausbruches beschrieben hat. Im Juli 1914 unternahmen – allerdings durch eine Reihe vorhergehender Krisen bereits völlig überreizte – europäische Diplomaten immerhin noch Anstrengungen zur Kriegsvermeidung, die erst auf den letzten Metern scheiterten. Heute ist der Dritte Weltkrieg an zwei Orten – Ukraine und Palästina – schon lange ausgebrochen und hat bei allen Parteien hasserfüllte Sprachlosigkeit erzeugt, die nun weitere Eskalationen hervorzubringen droht. Eine Parallele zwischen 1914 und heute besteht eher darin, dass damals an sich mächtige Friedensbewegungen zwar existierten, sich aber in der entscheidenden Situation kaum zu Wort meldeten. Eine politisierte Arbeiterschaft hatte damals eigentlich begriffen, dass für sie der internationale Klassengegensatz zum „Kapital“ sehr viel wichtiger war als die Gegensätze zwischen den europäischen Großmächten.

Dennoch gab es im Sommer 1914 keine Massenstreiks und auch keinen Widerstand gegen die Mobilmachungen. Die SPD stimmte im Reichstag dem innenpolitischen „Burgfrieden“ und insbesondere den Kriegskrediten zu und verursachte damit eine bis heute anhaltende Spaltung der politischen Linken, die bei der Machtergreifung Hitlers 1933 eine katastrophale Wirkung hatte. Heute dringt die in Deutschland eigentlich allgemein verbreitete Überzeugung, dass es nach 1945 „nie wieder Krieg“ geben solle, nicht mehr auf die politische Handlungsebene durch. Dies liegt zu einem großen Teil daran, dass wie 1914 eine Spaltung der Opposition besteht, diesmal zwischen rechten und linken Kritikern des Ukraine-Krieges. Die Rechten unterliegen hier einem großen strategischen Fehler, indem sie ihre Kriegskritik oftmals mit einer Billigung der russischen Position begründen, die aus ihrer Sicht dazu führen müsse, dass sich Deutschland einfach aus dem Krieg heraushält. Das funktioniert jedoch nicht, weil es gerade für eine Handelsnation wie Deutschland mit seiner vielbeschworenen geographischen Mittellage, Sicherheit immer nur im europäischen Kollektiv geben kann. Außerdem ist der weiter oben beschriebene Kriegswahnsinn keine einseitig westliche Angelegenheit, sondern vielmehr in Russland noch schlimmer als bei uns. Wladimir Putin hat die russische Wirtschaft und Gesellschaft in eine nationalistische Kampfmaschine verwandelt und die öffentliche Meinung auf eine um Größenordnungen brutalere Weise uniformiert als bei uns – bis hin zur physischen Eliminierung von Oppositionellen.

Unheilvolle klassische imperialistische Denkmuster

In Russland wird die junge Generation genauso an die Front gepresst und dort im sinnlosen Stellungskrieg verheizt wie in der Ukraine. Außerdem verwendet Putin mit seiner These, dass außerhalb des Staatsgebietes der russischen Föderation liegende Territorien aus historischen respektive ethnischen Gründen „eigentlich“ zu Russland gehören würden, ein klassisch imperialistisches Denkmuster, das in der europäischen Geschichte schon viel zu viel Unheil angerichtet hat, als dass man es im 21. Jahrhundert wiederbeleben sollte. Allen unkritischen Putin-Anhängern sei hier gesagt, dass im Jahre 1991 die Ukraine als ein Staat gegründet wurde, dessen Souveränität und territoriale Integrität nicht unter dem Vorbehalt einer fortbestehenden russischen Einflusszone und einer daraus folgenden Treuepflicht zu Russland standen. Dieser Rechtstitel kann nicht einseitig widerrufen werden, egal was seit 2014 auf dem Kiewer Maidan-Platz, auf der Krim und in der Ostukraine wirklich geschehen ist.

Es gibt aber noch eine weitere Analogie zu 1914, die hier Aufmerksamkeit verdient. Damals folgte der Kriegsausbruch auf eine in der europäischen Geschichte bis dahin nie gekannte Phase von Frieden und allgemeiner Sattheit, die von den Zeitgenossen vielfach als Dekadenz empfunden und missdeutet wurde. Der Krieg barg auf fatale Weise das Versprechen einer Erlösung von dieser Dekadenz in sich und wurde deshalb – zumindest in deutschen Universitätsstädten – Anfang August 1914 geradezu enthusiastisch begrüßt. Dem kurzen Rausch folgte schnell der Katzenjammer, als in den Materialschlachten der Westfront nichts mehr vom imaginierten Heldentum übrigblieb. Thomas Mann (1875-1955) hat diese Entwicklung von der morbiden Dekadenz eines Schweizer Lungensanatoriums für die Oberschicht über das jähe Erwachen der „Siebenschläfer“ beim Kriegsausbruch bis hin zum elenden Tod im Schlamm der Westfront in seinem Roman „Der Zauberberg“ meisterhaft erzählt. Hier besteht nun wirklich eine deutliche Analogie zur Gegenwart. Sattheit, Dekadenz und die Gewöhnung an einen scheinbar in Stein gemeißelten Frieden in Europa sind heute wahrscheinlich noch sehr viel größer als 1914 und machen die Mehrheit der Deutschen blind für eine an sich klar erkennbare Kriegsgefahr. Vielleicht wird eines Tages im russischen Raketenhagel auf deutsche Städte „Corona“ genauso zu spät als Dekadenzphänomen und eingebildete Krankheit erkannt werden wie im „Zauberberg“ die Tuberkulose des Protagonisten Hans Castorp, von der bis zum Ende des Romans offen bleibt, ob es sie überhaupt jemals gegeben hatte.

Pazifismus als Gebot der Stunde

Eine andere Kriegsgefahr, die paradoxerweise erst durch lange Friedensperioden entsteht, erwähnt der französische Journalist und Politiker Éric Zemmour in seinem Buch Destin Français. Zemmour zufolge entwickelt eine ca. 20 Jahre nach einem Krieg geborene Generation fast automatisch Kriegsbegeisterung, weil sie jene Dinge selbst erfahren will, die sie nur aus Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern kennt, und die in jenen Erzählungen als das wahre Leben erscheinen. Auch wenn das auf die deutsche Geschichte nach der selbst verschuldeten Katastrophe von 1945 schwer zu passen scheint, kann ich das als Abkömmling einer Familie, in der in meiner Kindheit und Jugend die verlorene Heimat in Schlesien und Oberschlesien ein Dauerthema war, recht gut nachvollziehen. Vielleicht erklärt sich aus diesem Phänomen der heutige Bellizismus von Politiker(inne)n, die ja größtenteils wie ich selbst der Boomer-Generation der Nachkriegszeit entstammen.

Diese Erwägungen ändern jedoch nichts an der Dramatik der gegenwärtigen Lage. Pazifismus und der Ruf „Die Waffen nieder!“ sind das Gebot der Stunde, und zwar sowohl in der Ukraine, im Nahen Osten als auch auf den weiteren potentiellen Schlachtfeldern Korea und Taiwan. Man kann einer pazifistischen Einstellung entgegnen, dass es Situationen gibt, in denen militärische Verteidigung um des eigenen Überlebens in Würde willen notwendig ist. Der Krieg gegen NS-Deutschland war, zumindest für die „Völker der Sowjetunion“, solch ein gerechter Krieg. Ich lasse dieses Argument aber in unserer Gegenwart nicht gelten. Wladimir Putin ist zwar ein Großschurke, aber ein Vergleich seiner Person mit Adolf Hitler und seinen Spießgesellen führt zu weit. Auch im Falle eines „russischen Europas“ würden uns weder Vernichtungslager noch Versklavung drohen. Hingegen ist die Gefahr einer irreparablen Zerstörung Deutschlands und Europas höchst real. In einer solchen Situation ist weniger ein realer oder imaginärer „Feind“ die größte Bedrohung, sondern der Krieg selbst.

Die Schafherde lässt sich willig zur Schlachtbank treiben

Die Friedensbewegung der 1980er Jahre hatte dies angesichts der Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen mit Vorwarnzeiten von wenigen Minuten auf beiden Seiten des damaligen „Eisernen Vorhanges“ begriffen. Damals habe ich selbst als Wehrdienstverweigerer in einer Reha-Klinik einen Ersatzdienst geleistet, der damals noch fast zwei Jahre dauerte, und dies nur selten bereut. Auch der Zivildienst war übrigens eine Art „Schule fürs Leben“, die man manchem heutigen politischen Entscheidungsträger, der ohne jegliche Bodenhaftung in der Wirklichkeit eine hohe Verantwortung für die Allgemeinheit trägt, durchaus empfehlen könnte. In den 1980er Jahren gab es noch große Friedensdemonstrationen. Darauf können wir in der unmittelbaren Gegenwart leider kaum hoffen. Die Schafherde lässt sich willig zur Schlachtbank treiben.

Sie könnte aber durchaus auf eine brutale Weise doch noch zu einem heilsamen Bewusstsein der sie umgebenden Wirklichkeit gelangen: Wenn der Krieg tatsächlich ausbricht, russische Raketen deutsche Städte verwüsten und die verwöhnte junge Generation zum Sterben in die Schützengräben der neuen Ostfront geschickt wird, dann könnte es sich sehr schnell zeigen, dass das heutige Deutschland einen solchen Krieg nicht führen kann. Umfragen zeigen, dass der Wehrwille selbst innerhalb der Bundeswehr stark begrenzt ist. Etwa ein Viertel der Bevölkerung erwägt ernsthaft, im Kriegsfall das Land so schnell wie möglich zu verlassen. In einem solchen Chaos könnten sehr schnell genau jene gewaltigen Massendemonstrationen gegen die destruktive Regierungspolitik ausbrechen, die bislang – ausgenommen die „Querdenker“-Demos des August 2020 – nur in der Phantasie von uns Oppositionellen existieren. In einem solchen Fall hätte das ganze gegenwärtige Elend am Ende doch noch etwas Gutes gehabt. Es darf uns nur nicht etwas in die Quere kommen, was man leider auch befürchten muss, nämlich der Weltuntergang im nuklearen Inferno.


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