Geologisches „Schlachtfeld“ im Himalaya

(Von: Julian Mayr)

Forschende sehen Hinweise auf Riss in tektonischer Platte

Neue Forschungsergebnisse enthüllen unerwartete Dynamiken der tektonischen Platten im Himalaya. Diese Erkenntnisse könnten Licht auf zukünftige Erdbeben werfen.

Frankfurt – Die höchste Bergkette der Welt, der Himalaya, ist durch das Zusammenstoßen gewaltiger tektonischer Platten entstanden. Neue, wissenschaftliche Erkenntnisse, basierend auf seismologischen und geochemischen Messungen in Südtibet, liefern frische Einblicke, wie genau sich die tektonischen Platten Indiens und Eurasiens bei ihrer Kollision verhalten. Dieser Fund könnte zukünftig Hinweise auf potenzielle Erdbeben liefern.

Unter dem Himalaya-Gebirge und der Region Tibet krachen zwei Kontinentalplatten aufeinander. © pond5/imago

Wissenschaft uneins über Dynamik des Aufeinandertreffens riesiger Kontinentalplatten

Die indische Erdplatte begann sich bereits vor etwa 60 Millionen Jahren unter die eurasische Platte zu schieben. Dieser Prozess dauert bis heute an und führt zu einem stetigen Wachstum der Himalaya-Berge. Die renommierte Fachzeitschrift Science bezeichnet „die hoch aufragenden Gipfel des Himalaya“ deshalb als „geologisches Schlachtfeld“.

Bisher war es jedoch unter Wissenschaftlern umstritten, welche Dynamiken sich tatsächlich beim Zusammenstoßen der riesigen Platten ergeben. Einige Forschende vermuten, dass die indische Platte eher horizontal unter Tibet Richtung Norden gleitet. Andere glauben, dass der auftriebsstarke Teil der indischen Platte sich an der Kollisionskante vertikal in Richtung Erdmantel wölbt.

Erdbebendaten und Gasproben liefern Hinweis auf vertikalen Riss der indischen Platte

Es gibt schon länger die Vermutung, dass es eine dritte Verhaltensart von tektonischen Platten geben könnte, wenn sie aufeinandertreffen. Laut dieser würde es bedeuten, dass ein Teil der indischen Platte sich unter die eurasische Platte schieben könnte, während der untere Teil sich ablöst. Auf einer Konferenz der American Geophysical Union im Dezember 2023 präsentierte ein Forschungsteam aus den USA und China neue Ergebnisse, die dieses Szenario untermauern.

Simon Kemperer von der Stanford University und andere Forscher verwendeten Erdbebendaten hunderter seismischer Stationen in Südtibet und kombinierten diese mit bereits gesammelten Daten, um ein 3-D-Modell der Plattenkollision zu erstellen. Darüber hinaus wurden Gasproben von etwa 200 natürlichen Quellen entnommen. Das Forschungsteam identifizierte Helium-Isotope aus verschiedenen Schichten und konnte so ein klares Muster erkennen.

Dort, wo die indische auf die eurasische Kontinentalplatte trifft, vermuten Forscher einen Riss. © pond5/Imago

Die Studie liefert Hinweise auf einen vertikalen Bruch oder Riss an der Grenze zwischen dem abgedrifteten und dem horizontalen Teil der Platte, heißt es in Science. Auch der afrikanische Kontinent droht durch das Zusammenstoßen von Erdplatten langsam in zwei Teile zerrissen zu werden. Die Ozeanplatte namens „Pontus“ hingegen ist bereits großteils im Erdmantel verschwunden.

Erkenntnisse über Plattendynamik möglicherweise auch für Erdbebenvorhersage relevant

Laut dem Fachportal ScienceAlert sind die Ergebnisse der Forschenden die ersten empirischen Beweise für eine Entzweiung der tektonischen Platte. Während einige Abschnitte der indischen Platte mehr oder weniger intakt zu sein scheinen, verkrümmen sich Teile der Platte in etwa 100 Kilometern Tiefe Richtung Erdmantel.

Die Daten und Befunde seien zwar noch begrenzt und nur eine „Momentaufnahme“, sagt der Geodynamik-Experte Fabio Capitanio von der Monash University im australischen Melbourne zu Science. Die Studie sei jedoch ein Schritt in die richtige Richtung, um zu verstehen, wie die heutigen Landschaften vor Jahrmillionen geformt wurden.

Ein besseres Verständnis der Plattendynamiken könnte laut der Seismologin Anne Meltzer auch dazu beitragen, die von Erdbeben ausgehenden Gefahren besser zu verstehen. Erst Anfang des Jahres wurde das weiter östlich von China gelegene Japan von einem verheerenden Erdbeben erschüttert. Studienautor Klemperer weist darauf hin, dass der entdeckte Riss Auswirkungen auf die Entstehung von Erdbeben in der Region haben könnte. Ein tiefer Bruch in der tibetischen Hochebene, der Cona-Sangri-Graben, zeige bereits, dass sich die unterirdischen Prozesse an der Oberfläche bemerkbar machen.


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