Fanatiker an den Schalthebeln der Macht

(von Dietrich Quintilian)

Savonarolas “Fegefeuer der Eitelkeiten”

In der gesamten überlieferten Menschheitsgeschichte gab es immer wieder Phasen, in denen religiöse oder politische Eiferer es versucht haben, den Menschen ihrer Gegend, ihres Landes oder ihrer Stadt, ihre radikalen – meist endzeitlichen – Phantastereien mit Waffengewalt und Terror aufzuzwingen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie partiell ein Terrorsystem errichteten und ihre ehemaligen Wirkungsstätten sich oftmals nach ihrem Verschwinden jahrelang, teilweise jahrzehntelang von ihren Phantastereien und Irrsinnsattacken erholen mussten. Parallelen zu späteren Zeiten werden immer wieder von Historikern gezogen.

Der Dominikanermönch Savonarola errichtete im Florenz der Jahre 1494 bis 1498 eine wahre Terrorherrschaft. Seine Sturmtruppen, um die dröge Menge in Angst und Schrecken zu versetzen, war eine von ihm geschaffene “Kinderpolizei“ aus Kindern und Heranwachsenden, die er ständig dazu aufrief, auch die eigenen Eltern zu denunzieren. Zudem ließ er im Karneval bei einem von ihm so genannten “Fegefeuer der Eitelkeiten“ Musikinstrumente, prächtige Kleider, Schmuck, Bilder, Kunstschätze und lebensbejahende Bücher – etwa auch Kochrezeptsammlungen – öffentlich verbrennen. Niccolò Machiavelli besuchte auf Bitten des florentinischen Gesandten in Rom zwei späte der aufrührerischen Predigten von Savonarola, am 1. und 2. März 1498 in San Marco. Dort habe Savonarola, so Machiavelli, einen Bildersturm gepredigt und weiterhin die Verhetzung von Kindern betrieben, die ihre Eltern denunzieren sollten, wobei er einen derart demagogischen Eifer an den Tag legte, dass ihm selbst Machiavelli – der als ziemlich tolerant galt – religiös-idealistische Verblendung vorwarf. Zudem sah Machiavelli keinen Sinn in der Zerstörung schöner und wertvoller Sachen, sondern erkannte im späten Wirken von Savonarola nur Destruktives.

Wiederkehrende Wahnmomente

Nur wenige Jahre später, nämlich von 1534 bis 1535, errichteten die Wiedertäufer im Westfälischen Münster ein noch furchtbareres Terrorregime: Jan van Leiden, der Kopf dieser Bußprediger, ließ jeden Verstoß gegen die 10 Gebote mit dem Tode bestrafen. Selbst seine Ehefrau, Elisabeth Wandscherer, wurde eigenhändig von ihm persönlich öffentlich hingerichtet, weil sie “falsch Zeugnis“ über ihn abgelegt habe, als sie sich beklagte, dass er in Saus und Braus lebte, während er gleichzeitig von den Bewohnern der belagerten Stadt ein Leben in Askese verlangte. Nach der Hinrichtung seiner Frau führte van Leiden die Vielehe ein und vergnügte sich mit bis zu 17 “Ehe“-Frauen. Es dauerte mehr als zwanzig Jahre, bis sich Münster wirtschaftlich von dem einjährigen Wiedertäufer-Mummenschanz erholt hatte. Der Philosoph Robert Spaemann lieferte 1988 dann die bis heute prägende Definition von Fanatismus, als er nämlich in seinem vielbeachteten Artikel “Das Wort sie sollen lassen stahn“ schrieb, dass die westliche Zivilisation seit dem 17. Jahrhundert für unbedingte, sich dem universellen Diskurs entziehende Überzeugungen eben die pejorative, vernunftabsprechende Vokabel „Fanatismus“ bereitstelle. Diese Bezeichnung habe von Katholiken gegen Protestanten und später von orthodoxen Protestanten gegen das Schwärmertum und schließlich von den Protagonisten der Aufklärung gegen jede Form von Offenbarungsglauben Verwendung gefunden.

Das nächste, diesmal viel nachhaltiger als in Florenz oder Münster wirkende Beben von besessenen Fanatikern erlebten die Menschen dann in der französischen Revolution: Hier eskalierten gleich mehrere Besessene gleichzeitig. Der Scharfmacher Danton, dem der Historiker Golo Mann die Verantwortung für die Septembermorde 1792 gab und der selbst Opfer der von ihm mitverantworteten Terrorherrschaft wurde; der aufrührerische Arzt und Publizist Marat, der beständig publizistisch aus der zweiten Reihe schoss und das Volk aufwiegelte, um dann von einer gemäßigten Revolutionärin erdolcht zu werden, die von seinen hysterischen Aufrufen negativ getriggert wurde; der besessene Priester Roux, der seinen abgrundtiefen Hass auf Besitz auf alle Besitzenden auslebte und einem drohenden Todesurteil durch Saint-Just durch Suizid zuvorkam; der kaltherzige Advokat Robespierre, der das administrative Gerüst der Terrorherrschaft zimmerte; und der völlig durchgeknallte Saint-Just, der ohne mit der Wimper zu zucken Todesurteile im Sekundentakt (auch jenes gegen Danton) fällte und durch seine Hinrichtung am 28. Juli 1794 – die übrigens gemeinsam mit der Hinrichtung Robespierres vollzogen wurde – gerade noch so in den erlauchten “Club 27“ aufgenommen werden konnte.

Am Ende Chaos und Tod

Die Folgen waren verheerend – im Grunde genommen sind die Wunden, die die französische Revolution geschlagen hat, bis heute nicht vernarbt. Diese Revolution hat auch gezeigt, wie gefährlich es ist, Besessene und Fanatiker an Schaltstellen der Macht gelangen zu lassen. Napoleon, der nahezu ganz Europa nach der Revolution über fast 20 Jahre durch Blut waten ließ, ist ebenfalls eine Folge der Revolution und ein Beleg für die Gefährlichkeit von Besessenen an den Schalthebeln der Macht.

Wir wissen, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Aber wir wissen auch, dass sie sich reimt. In einer Demokratie sollte das Volk, der Souverän, darauf achten, dass keine Besessenen an die Schalthebel der Macht gelangen und das die politik nicht von Fanatikern betrieben wird, denn sonst drohen letztendlich Terror, Chaos und viele Ermordete. Und erst Recht sollte der Souverän die infantilen Verantwortungslosen verhindern! Niemand würde ein an ADHS-leidendes Kind ohne Aufsicht in die Schaltzentrale eines Atomkraftwerkes und dort wahllos Knöpfe drücken lassen. Der Souverän in einer Demokratie muss zwingend eigenverantwortlich handeln – sonst ist er kein echter Souverän (oder allenfalls auf dem Papier) und überlässt die Handlungsgewalt dubiosen Kräften. Wie der alte Voltaire in seinem “Potpourri“ schon warnte: 

Bedenkt, dass Fanatiker gefährlicher sind als Schurken. Einen Besessenen kann man niemals zur Vernunft bringen, einen Schurken wohl.


Kommentare

Eine Antwort zu „Fanatiker an den Schalthebeln der Macht“

Schreibe einen Kommentar