Theorie und Praxis der Künstlichen Intelligenz

(von Dirk Freyling)

Ohne erst einmal allzu viele Worte zur Begründung zu machen: Der Begriff “Künstliche Intelligenz” (“KI”) ist irreführend und bei genauer Betrachtung falsch, weil auch komplexere und verschachtelte Algorithmen, die auf (informations-)mathematischen Verknüpfungen aufbauen, nachweislich keine allgemeinmethodischen Lösungswege generieren. Es ist aus psychologischer Sicht verblüffend und spricht für den “Zeitgeist des Glaubens”, welcher das Ende der im 18. Jahrhundert gestarteten Aufklärung markiert, dass sich selbst akademisch ausgebildete Mathematiker und Physiker heutzutage ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob ein Algorithmus intelligent sein kann oder gar Gefühle hat.

Tatsache ist: Algorithmen können nur das, was man ihnen vorher einprogrammiert hat. Interdisziplinäre Weitsicht ist mitunter für die “KI” schon ein riesiges, unlösbares Problem mit fatalen Folgen. Beispiel: Ein Informatiker, der Kurse in Python und Pandas anbietet, ging der Frage nach, warum er von Meta/Facebook ohne nachvollziehbare Begründung lebenslang bei der Schaltung von Werbung gesperrt wurde. Python ist eine – recht populäre und bekannte – Programmiersprache. Pandas ist eine Python-Programmbibliothek zur Analyse und Darstellung statistischer Daten. Die Annahme, dass seine Werbung lebende Tiere zum Inhalt habe, beruht(e) auf “KI”, nicht auf der Einschätzung eines Menschen. Als er dagegen Beschwerde einlegte, wurde seine Beschwerde wiederum von “KI” beantwortet – und zwar im Ergebnis genauso sinnfrei.

Exkurs: Der Sinn der Lebensverlängerung

In diesem Zusammenhang sei mir nachfolgend die Überleitung zu etwas “KI-Interdisziplinärem” gestattet, auch wenn es womöglich etwas off-topic wirkt (vielleicht finden die “KI”-Gläubigen unter den Lesern ja diesbezüglich einen Weg, die “KI” entscheiden zu lassen?): Haben Sie sich schon einmal gefragt, welchen Sinn es macht, dass der Mensch von heute zwanzig, dreißig Jahre länger lebt als zu früheren Zeiten? Die Idee der Lebensverlängerung um nahezu jeden Preis impliziert eine Urangst vor dem Tod. Obwohl der Tod unvermeidbar ist, herrschen Panik und Depression beim Gedanken daran vor, sterben zu müssen.

“Markttechnisch” sind Sie mit Ihrem zerfallenden Körper, insbesondere in den Industrienationen, ein mittlerweile standardisierter Kunde für Medikamente und Dienstleistungen. Was hat der Einzelne also bewusst mehr von einem längeren Leben? Der Bankangestellte, die Putzfrau, die Laborantin, der Müllsammler, der Versicherungsvertreter – sie alle arbeiten fremdbestimmt. Lebensplanung und gewünschte Planungssicherheit basieren auf möglichst viel Arbeits- und Lebensroutine. Längere Lebenszeiten werden von fremdbestimmt arbeitenden Menschen mit Wiederholungen des Alltäglichen bestritten. Mögliche Kinder entwickeln sich nicht selten anders als erwartet und sind somit inhaltlich nicht wirklich erstrebenswert. Überhaupt steckt hinter dem Kinderwunsch die nicht offen thematisierte Hoffnung, fleischlich “unsterblich” zu werden, oder zumindest sich genetisch in die nächste Generation hinüberzuretten.

Wann gehen Sie freiwillig?

Wenn Sie heute ein gutes Essen zu sich genommen haben, dann müssen Sie dies bald wiederholen und immer wieder tun – sonst werden sie unzufrieden. Der körperliche Verfall – mit und ohne durch unnatürliche Lebensweise bedingte “Beschleunigung”  – ereilt Sie in jedem Fall mit den Jahren. Der Körper vergeht meist bei vollem Bewußtsein: Körperliche Gebrechen, künstliche Gelenke, falsche Zähne, tägliche Medikamente sind das normale Schicksal des Durchschnittsmenschen im globalen Westen. Wenn es ganz schlimm kommt, schicken Ihre Liebsten Sie am Ende in ein Pflegeheim. Dort werden Sie dann wieder behandelt wie ein kleines Kind, werden – wenn nötig – gefüttert, von Urin und Kot befreit und gewaschen. Da kann man nur sagen: Herzlichen Glückwunsch!

Dieses Szenario lässt sich noch deutlich verschlechtern. Krebserkrankungen, Alzheimer, erhebliche Seh- und Hörstörungen. Wann ist es „gut“? Wann gehen Sie freiwillig? Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie diese Entscheidung aktiv treffen können, ist gering. Ihr Wert für die Gesellschaft als Pflegefall ist rein wirtschaftlich zu ermitteln. Solange Sie aus Sozialkassen oder besser aus privaten Mitteln, Dienstleistungen, Apparatemedizin und Pillen mit Ihrer “Biomasse Mensch” bezahlen können, wird man Sie nicht sterben lassen.

Es braucht mehr als ein Denkprogramm

Aber selbst der erste schwarze Präsident der USA oder der über Jahrzehnte “geliebte” Filmstar sind vergänglich. Ist es vielleicht Sinn des Lebens, bis zum Lebensende mehr oder minder erfolgreich in Spielfilmen mitzuwirken? Und was hat der tote erste schwarze Präsident von seinem einstigen “erfolgreichen” Leben, wenn er an dessen Ende als Pflegefall dahinsiecht? Diese und ähnliche Fragen führen zu einer sehr einfachen Antwort: Der “Mechanismus Leben” steht in keinem Zusammenhang mit gesellschaftlich gefordertem Erfolg oder Misserfolg. Die wenigsten Menschen verstehen das. Mit den Worten Hermann Hesses ausgedrückt: “Alle Kinder, solange sie noch im Geheimnis stehen, sind ohne Unterlass in der Seele mit dem einzig Wichtigen beschäftigt, mit sich selbst und mit dem rätselhaften Zusammenhang ihrer eigenen Person mit der Welt ringsumher. Sucher und Weise kehren mit den Jahren der Reife zu diesen Beschäftigungen zurück, die meisten Menschen aber vergessen und verlassen diese innere Welt des wahrhaft Wichtigen schon früh für immer und irren lebenslang in den bunten Irrsalen von Sorgen, Wünschen und Zielen umher, deren keines in ihrem Innersten wohnt, deren keines sie wieder zu ihrem Innersten und nach Hause führt.

Es bedarf deutlich mehr als eines Denkprogramms, um eine Gesamtsituation zu erfassen. Hier ist es erst einmal notwendig, dass der Mensch “klar sieht”, bevor Algorithmen “klar sehen”.