Cum-Ex-Prozess: „Olaf Scholz“ taucht 27 Mal in der Anklageschrift auf

(von Thomas Schmoll)

Der frühere MM Warburg-Banker Christian Olearius steht in Bonn wegen mutmaßlicher Cum-ex-Straftaten vor Gericht. Die Anklageschrift führt dabei den einen oder anderen prominenten Namen mit auf

In Bonn beginnt der Prozess gegen den Finanzunternehmer Christian Olearius. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, aktiv in den Cum-Ex-Skandal verstrickt zu sein. Die Verhandlung birgt auch politischen Sprengstoff: Es geht um die Rolle des Kanzlers in seiner Hamburger Zeit.

Als Grüne und FDP noch in der Opposition waren, standen sie an vorderster Front, wenn es darum ging, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wegen der krummen Geschäfte der Hamburger Warburg-Bank madig zu machen. Lisa Paus bescheinigte dem damaligen Finanzminister „kratergroße Erinnerungslücken“. Der FDP-Abgeordnete Florian Toncar bejahte die Frage, ob Scholz der Cum-Ex-Skandal als Regierungschef einholen könnte. Er hielt es gar für möglich, dass Christian Olearius, Mitinhaber der Privatbank, umfassend über seine Gespräche mit dem SPD-Mann aussagen werde, um dem Gefängnis zu entgehen. Toncars Vorhersage lautete: „Olearius ist für Scholz eine tickende Zeitbombe, die auch durch die Bundestagswahl nicht entschärft werden wird.“

Inzwischen ist die Grünen-Politikerin Paus Bundesfamilienministerin im Kabinett von jenem Mann, den sie vor zwei Jahren noch öffentlich bezichtigte, es mit der Wahrheit scheinbar nicht besonders genau zu nehmen. Und Toncar ist parlamentarischer Staatssekretär bei Bundesfinanzminister Christian Lindner. Sowohl Paus als auch ihr FDP-Kollege äußern sich nicht mehr zur Cum-Ex-Affäre, in die Banker, Börsianer und Rechtsanwälte verstrickt waren. Ob Toncar mit seiner Mutmaßung recht behält oder nicht, zeigt sich ab diesem Montag. Denn vor dem Landgericht Bonn hat der Prozess gegen die mutmaßlich „tickende Zeitbombe“ begonnen.

Vor 2016 wäre niemand, der sich wie Toncar in der Welt der Finanzen auskennt, auf die Idee gekommen, Olearius mit einer gefährlichen Waffe zu vergleichen. Der Hamburger galt zwar als Schlitzohr, das Vermögende unterstützte, mit Hilfe seiner Bank und Töchtern in Luxemburg und der Schweiz Steuern zu sparen. Der Unternehmer war eine gesellschaftliche Größe. Er hatte den Ruf des gutbürgerlichen Hanseaten, kunstaffin und spendabel: Olearius unterstützte die Elbphilharmonie und andere kulturelle Einrichtungen. Doch nachdem die Cum-Ex-Machenschaften aufflogen und ab 2016 ruchbar wurde, dass Warburg-Banker mitgemischt haben könnten, sanken sein und das Ansehen seines Finanzinstituts.

Hinter Cum-Ex verbergen sich Aktiendeals, die dazu dienen, sich eine einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach vom Fiskus erstatten, also den Steuerzahler finanziell bluten zu lassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) verwarf die Argumentation Beschuldigter, es sei eine Gesetzeslücke ausgenutzt worden. „Es ging um einen blanken Griff in die Steuerkasse“, sagte der Vorsitzende des BGH-Senats, Rolf Raum, der darüber im Juli 2021 geurteilt hatte. Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine Straftat.

Und die hat unglaubliche Dimensionen. Der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel schätzt den Schaden durch die krummen Geschäfte allein in Deutschland auf zehn bis zwölf Milliarden Euro, wie er der „taz“ sagte. In über 100 Ermittlungsverfahren werden mehr als 1000 Beschuldigte aufgeführt. Einige sind schon zu mehrjähriger Haft verurteilt worden, auch Ex-Manager der Warburg-Bank. Für die Deals waren Absprachen zwischen diversen Akteuren notwendig.

„Symbolisch auf der Anklagebank“

Mischte Olearius mit? Und falls ja: Kann ihm das nachgewiesen werden? Die Staatsanwaltschaft Köln ist sich sicher. Sie legt dem Bankier mehr als ein Dutzend Fälle der besonders schweren Steuerhinterziehung zwischen 2006 und Ende 2019 zur Last, die er geplant und mit Komplizen ausgeführt haben soll. Den Schaden für den Staat beziffert die Anklagebehörde auf 280 Millionen Euro. Olearius bestreitet jedes Zutun. Im Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen erklärte er Mitte November 2022 laut „Süddeutsche Zeitung“, er habe keine Gesetze gebrochen, werde vorverurteilt und alles Entlastende werde ignoriert.

Nachdem der Hamburger Fiskus 2016 mehrere Millionen von der Bank zurückforderte, wandte sich Olearius an Scholz, damals Regierungschef von Hamburg. Die Finanzverwaltung stellte die Forderung zurück: Sie wollte auf 47 Millionen Euro und dann auch auf einen ähnlich hohen Betrag für 2017 verzichten. Bis heute ist nicht bekannt, ob der Kanzler und sein Hamburger Nachfolger Peter Tschentscher, ebenfalls SPD-Mitglied, damit zu tun hatten oder der zeitliche Ablauf Zufall war.

Der Hamburger Fiskus korrigierte sich, die Bank hat die Millionen für beide Jahre längst überwiesen. Scholz bestreitet jede Einmischung der Politik zu Gunsten von Olearius. Einen handfesten Beweis für das Gegenteil seiner Aussage gibt es nicht, allein Indizien, die allerdings unterschiedlich ausgelegt werden können, auch zu Gunsten des Kanzlers. Zudem macht Scholz Erinnerungslücken geltend. Er gibt an, sich nichts vom Inhalt der Gespräche mit Olearius gemerkt zu haben. Für diese Aussage musste Scholz viel Spott aus Opposition und Bevölkerung ertragen. Die Hamburger CDU bezichtigt ihn offen der Lüge.

Fabio De Masi, Finanzexperte und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linke – er hat die Partei verlassen –, misst dem Prozess hohe Bedeutung „für den wehrhaften Rechtsstaat“ bei. „Der Bundeskanzler sitzt mit Herrn Olearius symbolisch mit auf der Anklagebank“, sagte er unter Verweis darauf, dass der Name von Scholz 27-mal in der Anklageschrift auftaucht. Alle Beteiligten hätten gewusst, dass Cum-Ex kriminell sei. „Wenn auch Herr Scholz schon immer dieser Meinung war, wie er im März 2020 im Bundestag ausführte, warum hat er dann Herrn Olearius gleich drei Mal zum Steuerverfahren der Bank getroffen? Dann hätte doch ein Treffen gereicht, um das mitzuteilen.“

In der Anklageschrift wird Olearius laut „Süddeutsche Zeitung“ bezichtigt, er habe die mutmaßliche Verwicklung der Warburg-Bank in den Skandal vertuschen wollen. In der Passage werde „dem Vernehmen nach“ auch eine Spende über 13.000 Euro der Bank an die SPD aus dem Jahr 2017 erwähnt. Das wird im Prozess sicherlich zur Sprache kommen. Spätestens dann wird sich zeigen, ob Olearius eine tickende Zeitbombe oder ein Blindgänger ist.